Die Entstehung sozialer Bewegungen im Kontext von Prekarisierung und Transnationalität in Südostasien
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt konnte erfolgreich qualitative empirische Sozialforschung mit Arbeiter_innen der Textilindustrie (Thailand), in Call Centers (Philippinen) und der Palmölindustrie (Malaysia) durchführen. Es ist gelungen, dreiphasige Langzeitstudien umzusetzen, die aus biographischen Interviews, Tiefeninterviews und Gruppendiskussionen bestanden. Die innovative Vorgehensweise, die die spezifische Methodik der einzelnen Elemente (insbesondere die narrative Erzählung, die problemorientierte Reflektion und die intern referenzierte Gruppendynamik) mit der über einen längeren Zeitrahmen zu den gleichen Arbeiter_innen wiederkehrenden Gesamtuntersuchung verknüpfte, war maßgeblich für die Qualität der Projektergebnisse. Die transkribierten und übersetzten Interviews (insgesamt 230) und Gruppendiskussionen (insgesamt 24) liefern wertvolle Innenansichten der Arbeiter_innen dieser erfolgreichen und expandierenden Industrien in dieser Wachstumszone der Weltwirtschaft. Der erfolgreiche Zugang zu den Subjekten und ihren Alltagswirklichkeiten machte eine gegenstandsverankerte Theoriebildung möglich, die sich mit drei Theoriegebäuden – Prekarisierung, Transnationalität und Entstehung sozialer Bewegungen – auseinandersetzte und sie miteinander und zur inneren Problemlage der Betroffenen in Beziehung setzen konnte. Es wurde deutlich, dass Prekarisierung nicht nur ein Problem des Nordens ist. Eine rein europäische Fokussierung des Problems als Übergang von früher sicherer zu heute unsicherer Beschäftigung greift zu kurz. Dieses Projekt zeigt vielmehr, dass es sich um globale Umstrukturierungen von dynamischen und expandierenden Industrien handelt. Nicht nur der informelle Sektor des globalen Südens ist durch Prekarisierung gekennzeichnet, sondern die neuen, modernen und profitablen Industrien werden so gestaltet. In allen drei Subprojekten wurde die Prekarisierung politisch untermauert und reguliert, so dass die politische Entrechtung in Vordergrund rückte. Das Projekt konnte außerdem die subjektiven Dimensionen der Prekarität erschließen. Über den biographischen Zugang wurde deutlich, wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse und die politische Entrechtung sich auf die verfügbare Freizeit, auf menschliche Beziehungen, auf die Bildungschancen der Kinder und auf die Familienstrukturen auswirken. Alle drei untersuchten Industrien sind ökonomisch entlang von transnationalen Wertschöpfungsketten organisiert, doch im Erfahrungshorizont der Arbeiter_innen sind dazu quer liegende, soziale Netzwerke entscheidend. In der Call Center Industrie der Philippinen, bei der die Arbeiter_innen nachts „virtuell“ in den USA arbeiten, tangiert die transnationale Dimension das soziale Leben außerhalb des Betriebs nur durch die Nachtschicht. In der Textil- und Palmölindustrie hingegen sind Migration, Grenzkontrollen, Leben in der Illegalität, räumliche Distanz, Trennung und transnationale Familienstrukturen prägend. Die transnationalen sozialen Netzwerke, die aus dem Umgang mit diesen Herausforderungen entstehen, bilden die Basis für Praktiken des Alltagswiderstands. Im Projekt wurde deutlich, dass nicht äußerliche Repression sondern Selbstführung und Internalisierung von Flexibilisierungsvorstellungen entscheidend für die Nichtentstehung von sozialen Bewegungen ist. In den Callcenters herrscht zwar keine Zufriedenheit mit der prekären Beschäftigungslage, doch die Selbsteinschätzung und der Habitus der Agenten als zur Mittelschicht zugehörig behindert kollektive Aktionen. In der von starker Repression geprägten Textilindustrie in Thailand hingegen kommt es häufiger zu Protestaktionen und zu wilden Streiks. Die Organisierung entlang der in Myanmar prägenden ethnischen Zugehörigkeit behindert aber eine kollektive Bewegung über den einzelnen Betrieb hinaus. Die transnationalen sozialen Netzwerke der Palmölarbeiter_innen ermöglichen einen weitverbreiteten Alltagswiderstand, der sich vor allem gegen die Einschränkungen des Migrationsregimes richtet und für eine Verlängerung der Beschäftigung, eine freie Wahl des Arbeitgebers und die Zusammenführung der Familie streitet. Für eine qualitative, empirische und sozialwissenschaftliche Untersuchung im Ausland (mit der zusätzlichen sprachlichen und kulturellen Transferarbeit), wäre eine längere Förderungsdauer sinnvoll.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2010): The Biofuel Connection: Transnational Activism and the Palm Oil Boom. Journal of Peasant Studies 37/4, 851-874
Pye, Oliver
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(2012) Im Takt der Märkte – Arbeitswelten birmanischer MigrantInnen in Mae Sot, Thailand. In: Weiß, Luise, Eva Fuhrmann, Oliver Pye, Kerstin Schiele (Hrsg): Arbeitswelten. Alltag und Kämpfe in den Werkstätten der Globalisierung. Schwerpunktthema des Südostasien 3/2012, 24-25.
Weiss, Luise
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(2012) Mogok! Arbeitswelten der Palmölindustrie. In: Weiß, Luise, Eva Fuhrmann, Oliver Pye, Kerstin Schiele (Hrsg): Arbeitswelten. Alltag und Kämpfe in den Werkstätten der Globalisierung. Schwerpunktthema des Südostasien 3/2012, 32-33
Pye, Oliver
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(2012): Fluch der Arbeit. Beschäftigungslage und der informelle Sektor. In: Weiß, Luise, Eva Fuhrmann, Oliver Pye, Kerstin Schiele (Hrsg): Arbeitswelten. Alltag und Kämpfe in den Werkstätten der Globalisierung. Schwerpunktthema des Südostasien 3/2012, 46-49
Reese, Niklas
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(2012): Precarious Lives: Transnational biographies of migrant oil palm workers. Asia Pacific Viewpoint 53/3, 330-342
Pye, Oliver, Ramlah Daud, Yuyun Harmono, Tatat
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(2013): Migration, Netzwerke und Alltagswiderstand: Die umkämpften Räume der Palmölindustrie. Peripherie 132/32, 466-493
Pye, Oliver
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(2013): No call for action? - Why there is no union (yet) in Philippine call centers. Austrian Journal of South-East Asian Studies, 6(1), 140-159
Reese, Niklas and Joefel Soco Carreon