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Europäisches & Afrikanisches Raumwissen: Afrikakartographie, 1850-1914

Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2009 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 124649735
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das unter dem Titel „Europäisches & Afrikanisches Raumwissen: Afrikakartographie 1850-1914“ am Leibniz-Institut für Länderkunde bearbeitete Forschungsprojekt verfolgte das Ziel, einen bislang kaum beachteten Aspekt interkulturellen Wissenstransfers in einer entscheidenden frühen Phase der Globalisierung näher zu beleuchten. Im Unterschied zur postkolonialen Kritik ging das Forschungsvorhaben davon aus, dass nicht alles, was seinen Weg in europäische Karten und Bücher über Afrika fand, durch die hegemonialen Deutungen der Europäer gefiltert wurde, sondern sich Spuren afrikanischer Kenntnisse als indigene „Stimmen“ in den Kartenwerken erkennen lassen. Mittels eingehender Quellenanalysen publizierter und unpublizierter Schriften zu Afrika wurden anhand von cartographic encounters wechselseitige Einflüsse untersucht, und – soweit es die Quellen zuließen – raumbezogene Vorstellungen von Afrikanern und Europäern rekonstruiert. Die Analysen haben gezeigt, dass die „moderne“ Karte von Afrika nicht allein auf europäischen Beobachtungen und Techniken, sondern, speziell im Zeitraum 1850-1880, auch auf afrikanischem Wissen und der vielfältigen Unterstützung indigener Bevölkerung beruhte. Neben lokalen Begleitern handelte es sich dabei vor allem um Fernhändler, Kaufleute, Pilger und Herrscher; auch Sklaven wurden bezüglich ihrer geographischen Kenntnisse, insbesondere in Bezug auf das Innere Afrikas, befragt. Viele Reisende nutzten auch die Tatsache, dass indigenes geographisches Wissen speziell an zentralen (Küsten-)Orten vorhanden war. Einige von ihnen griffen bei ihren Befragungen wiederholt auf die Unterstützung von Mittelsmännern wie z.B. Karawanenführern zurück. Indigene Akteure wurden vor allem dann einbezogen, wenn es um Orientierung und Erkundigungen über noch nicht durchreiste oder nicht für Reisen vorgesehene Gebiete ging, oder wenn lokale raumbezogene Erfahrungen helfen konnten, europäische Phantasien z.B. über Gebirge und Seen zu korrigieren. In Einzelfällen wurden Versuche unternommen, indigene Akteure nach entsprechender Schulung für die kartenbezogene Datenaufnahme zu gewinnen. Vor dem Hintergrund eines in Europa ablaufenden Verwissenschaftlichungsprozesses von Kartographie blieb bei den Reisenden allerdings das Interesse an der Erforschung genuiner afrikanischer Raumkonzepte ebenso marginal wie es im interkulturellen Kontakt auch nicht gelang, das europäische Raumkonzept als kontingent zu reflektieren. Obwohl die Informanten wie die durch sie erhaltenen Informationen stets kritisch bewertet wurden, kann anhand von mehreren Beispielen demonstriert werden, dass nicht nur regelhaft afrikanische Toponyme, sondern auch speziell afrikanisches Wissen um Siedlungs- und Wegenetze Eingang in europäische Karten fand. Zahlreiche Missverständnisse, die im Prozess von cartographic encounters festzustellen waren, deuten einerseits darauf hin, dass seitens afrikanischer Eliten der Zusammenhang von Messung, Kartographie und Herrschaft verstanden wurde. Andererseits legen die Ergebnisse aber auch den Schluss nahe, dass die indigene Bevölkerung wahrscheinlich mit narrativen Formen von Geocodierungen lebte. Deren eingehende, nur interdisziplinär zu leistende Analyse, steht ebenso aus wie vergleichende Studien über geographische Lehrprogramme, in deren Rahmen Kompetenzen im Lesen und Gebrauch von Karten vermittelt und erworben wurden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2009): Das „Wiederkehren des Fragezeichens in der Karte“. Gothaer Kartenproduktion im 19. Jahrhundert. In: Geographische Zeitschrift 97 (4), S. 227-242
    Schelhaas, Bruno
  • (2009): “You Have Everything Confused and Mixed up…!” Georg Schweinfurth, Knowledge and Cartography of Africa in the 19th Century. In: History in Africa 36, S. 87-101
    Fritsch, Kathrin
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1353/hia.2010.0008)
  • (2010): Oldendorps Beitrag zur Afrikaforschung. In: Gudrun Meier et al. (Hg.): Christian Georg Andreas Oldendorp: Historie der caraibischen Inseln Sanct Thomas, Sanct Crux und Sanct Jan. Kommentarband. Herrnhut: Herrnhuter Verlag (Unitas Fratrum / Beihefte, 19), S. 181-190
    Jones, Adam
  • (2011): Transcultural aspects of exploring and mapping South West Africa between 1850 and 1914. In: Journal of Namibian Studies (9), S. 61-83
    Voigt, Isabel & Fritsch, Kathrin
  • (2011): „Inzwischen spricht die Karte für sich selbst“. Transformation von Wissen im Prozess der Kartenproduktion. In: Steffen Siegel & Petra Weigel (Hg.): Die Werkstatt des Kartographen. Materialien und Praktiken visueller Welterzeugung. München: Fink (Laboratorium Aufklärung, 9), S. 89-107
    Schelhaas, Bruno & Wardenga, Ute
  • (2012): Die «Schneckenkarte» - Mission, Kartographie und transkulturelle Wissensaushandlung in Ostafrika um 1850. In: Cartographica Helvetica (45), S. 27-38
    Voigt, Isabel
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5169/seals-178540)
  • (2012): Kartenkonstruktion und Kartengebrauch im Spannungsfeld von Kartentheorie und Kartenkritik. In: Armin Hüttermann et al. (Hg.): Räumliche Orientierung, Karten und Geoinformation im Unterricht. Braunschweig: Westermann (Geographiedidaktische Forschungen, 49), S. 134-143
    Wardenga, Ute
  • (2012): “Just a first sketchy makeshift”: German travellers and their cartographic encounters in Africa, 1850–1914”. In: History in Africa 39
    Jones, Adam & Voigt, Isabel
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1353/hia.2012.0012)
 
 

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