Baukonstruktion zwischen Kunst und Wissenschaft: Das Konstruktionsdenken von Johann August Röbling im Kontext der Tragwerksentwicklung des 19. Jahrhunderts.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
2.1. Allgemeinverständliche Darstellung der wesentlichen Ergebnisse Die Schwerpunkte der Projektarbeit lagen in der Aufarbeitung des beruflichen Werdegangs Röblings und der Analyse der von ihm benutzten Methoden des Ingenieurbaus, insbesondere des Hängebrückenbaus. Röblings Ausbildungssituation wird anhand historischer Unterlagen, die bisher weitgehend unbearbeitet waren und zum Teil erst in den vergangenen Jahren entdeckt wurden, erstmals detailliert dargestellt. Die Untersuchung der von ihm verwendeten Ingenieurmethoden verdeutlicht die geschichtlichen Veränderungen, die sich bis heute vollzogen haben. Röblings Verständnis über das Verhältnis zwischen Entwurf und Nachweis, von Material und Formgebung, von Konstruktion und Belastung unterscheidet sich deutlich vom heutigen. Auch nationale Unterschiede zwischen Deutschland und den USA – z.B. in Fragen der Sicherheits- und Risikobewertung – lassen sich erkennen. Die für einen guten Ingenieurentwurf erforderlichen Techniken sind bei Röbling in fast einzigartiger Weise mit der Fähigkeit verknüpft, eine Konstruktion sowohl geometrisch wie auch vom Kraftverlauf her bis in die Details zu verstehen. Deutlich tritt hervor, wie bedeutsam neben den quantitativen die qualitative Faktoren für das Gelingen einer Konstruktion sind. Röblings ganzheitliches Herangehen, seine außerordentlichen zeichnerischen Fähigkeiten und seine technologischen Erfahrungen bei der Drahtseilherstellung wie beim Bau der vorgespannten Holzkonstruktionen waren für seinen Erfolg entscheidend. Die Behandlung der Frage, welche Veränderungen die Tätigkeit des Konstruierens bis heute erfahren hat, welche Vorteile aber auch Defizite dabei zu verzeichnen sind, lässt Schlussfolgerungen für die Gegenwart zu. Die unbedingte Bewahrung der Übersicht und eine genaue Einschätzung der Wertigkeiten von Konstruktionsdetails und Verfahrenschritten ist ein herausragendes Merkmal seines Herangehens. Überraschend war die Feststellung, das nicht alleine das theoretische Niveau der Ausbildung in Erfurt und Berlin entscheidend für Röblings erfolgreiche Arbeitsweise war, sondern ebenso die Qualität und Intensität der zeichnerisch-konstruktiven, insbesondere am Holzbau orientierten Lehre und die Vielfalt der schon in dieser frühen Periode der Ingenieurwissenschaften schon verfügbaren technischen Literatur. Die Fragestellungen des Röbling-Projektes wurden im Zusammenhang mit der Diskussion aktueller ingenieurtechnischer Fragestellungen in einer mit Unterstützung des Brandenburgischen Ministeriums für Infrastruktur eigens zu diesem Thema organisierten Tagung der FH-Potsdam im Juni 2006 diskutiert. Ihre Spannweite reichte von Fragen der Denkmalpflege von Ingenieurbauten am Beispiel der Sanierung der Brooklyn-Brücke bis hin zu aktuellen Brückenneubauprojekten; ein Tagungsreader wurde herausgegeben. Wesentliche Ergebnisse wurden 2006 auf internationalen Fachtagungen (Construction History Congress in Cambridge, ASCE-Röbling-Tagung in New York) und in Fachzeitschriften präsentiert. Die Darstellung des Entwicklungsweges von Röbling ließ sich aus Anlaß seines 200. Geburtstages sehr eng mit öffentlichkeitswirksamen Unternehmungen verzahnen (Briefmarke, populärwissenschaftliche Darstellungen u.a. im Fernsehen). Vor allem gehörte dazu jedoch die Organisation einer Ausstellung, die von Frau Dr. Nele Güntheroth von der Stiftung Stadtmuseum für das Mühlhäuser Museum am Lindenbühl konzipiert wurde. Die Röbling-Ausstellung wurde von seiten der Projektgruppe an der FH Potsdam mit Beratung, Logistik, Textausarbeitungen und an der FH Potsdam gebauten Brückenmodellen unterstützt. Die Stadt Mühlhausen ermöglichte ihrerseits im Rahmen der "Mühlhäuser Beiträge" die Herausgabe einer Schrift, die einen großen Teil der erreichten Ergebnisse des "Röbling- Projektes" dokumentiert. In einer zweiten Schrift, herausgegeben von der FH-Potsdam, wird beabsichtigt, weitere Dokumente zum Röblingschen Schaffen und insbesondere die aus der Analyse der Niagara- Brücke gewonnenen Ergebnisse zu veröffentlichen. 2.2. Ausblick auf künftige Arbeiten und Beschreibung möglicher Anwendungen a) Das Nachrechnen historischer Konstruktionen mit modernen Methoden ist nicht neu, sondern die Regel. Es erfolgt im allgemeinen unter Absehung von den meist nicht mehr bekannten originalen Ansätzen. Im vorliegenden Fall ging es nicht darum, ein Bauwerk, sondern jene Bedingungen, Denkweisen und Maßnahmen zu rekonstruieren, die es hervorgebracht haben. Dies ist ungewöhnlich. In diesem Vorgehen werden die für die moderne Modellbildung zu formulierenden Anfangs- und Randbedingungen mit dem Herausfinden der historischen Modellbildung verknüpft. Dadurch ergeben sich wiederum neue Anwendungsmöglichkeiten. Das Herangehen hat, sowohl was die Niagara-Brücke betrifft, als auch was weitere Brücken Röblings, betrifft noch ein erhebliches Potential, weitere Ergebnisse zu erarbeiten. Der unmittelbare Vergleich mit der fast fertiggestellten, durch äußere Umstände unvollendet gebliebenen Kentucky-Railway- Bridge wäre zunächst in die Untersuchung einzubeziehen. Die Bearbeitung weiterer Themen insbesondere auf dem Gebiet historischer Ingenieurbauten, ist möglich. b) Schlussfolgerungen für die Leistungsfähigkeit eines an Tragstrukturen und Realisierungskonzepten (und nicht vorrangig an Vorschriften und Verfahren) orientierten Ingenieurdenkens für die Lehre sind ableitbar. In der Gegenwart hat die Ingenieurtätigkeit den Ruf eines kreativen Tätigkeitsfeldes als Kriterium für Berufsentscheidungen von Jugendlichen weitgehend verloren. Übersichtlichkeit und Praxisbezug drohen verloren zu gehen. Die Leistungsfähigkeit des geometrisch-praktischen Ingenieurdenkens, eines Denkens in Tragstrukturen, sollte gestärkt werden. c) Es ist denkbar, die Vorlesungsunterlagen Röblings zur Grundlage einer Studie über die frühe Ingenieur- (und Architekten)-Ausbildung an der Berliner Bauakademie zu machen. Die im Nachlaß Röblings erhaltenen Vorlesungsnachschriften haben einen exemplarischen Charakter. Ähnlich vollständige Aufzeichnungen aus dieser Zeit sind nicht bekannt. Da Röblings Schrift außerordentlich schwer zu entziffern ist, wären hier umfangreiche Mittel für die Transkribierung bereitzustellen. Die vorliegenden Teiltranskribierungen sind in Hinsicht auf ihren direkten Nutzen zum Ausbildungsgang in den konstruktiven Fächern ausgewählt worden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Andreas Kahlow Konzeption und Organisation der Tagung "Ingenieurbau zwischen Kunst und Wissenschaft: Johann August Röbling 1806-1869 ¿ Vom preußischen Baukondukteur zum Konstrukteur der Brooklyn Bridge". Die internationale Tagung der Fachhochschule Potsdam, die am 9. und 10. Juni 2006 stattfand, war dem 200. Geburtstag Johann August Röblings (12. Juni 1806) gewidmet. Die Tagung fand im Hause der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) in Potsdam statt und wurde vom Brandenburgischen Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung unterstützt. Es wurde ein Tagungsreader herausgegeben. Eigener Beitrag (23 Seiten) im Tagungsreader: "Röbling als Konstrukteur"
- Andreas Kahlow: Johann August Roebling (1806-1869). Early Projects in Context In: John A. Roebling. A Bicentennial Celebration of His Birth. 1806-1869. Edited by Theodore Green, P.E. Symposium October 27, 2006, Brooklyn, New York. ASCE: Published by the American Society of Civil Engineers, S.37-61
- Andreas Kahlow: Johann August Röbling (1806-1869): Early Projects in Context. Proceedings of the Second International Congress on Construction History (Cambridge 2006). Vol II, S. 1755-1776. Construction History Society, Exeter 2006
- Andreas Kahlow: Röbling als Konstrukteur. In: Mühlhäuser Beiträge Sonderheft 15. Von Mühlhausen in die Neue Welt ¿ Der Brückenbauer J.A. Röbling (1806-1869), Mühlhausen Thür. 2006, S.132-167. Redaktion und Herausgabe der Schrift zusammen mit Nele Güntheroth.
- Göran Werner: Die Niagara-Eisenbahn-Hängebrücke. In: Mühlhäuser Beiträge Sonderheft 15. Von Mühlhausen in die Neue Welt ¿ Der Brückenbauer J.A. Röbling (1806-1869), Mühlhausen Thür. 2006, S.112-131. Redaktion und Herausgabe der Schrift zusammen mit Nele Güntheroth
- Göran Werner: John August Röbling ¿ the Niagara-Railway-Suspension Bridge Proceedings of the Second International Congress on Construction History (Cambridge 2006). Vol II, S. 1755-1776. Construction History Society, Exeter 2006, S.3315-3332
- Göran Werner: Mitorganisation der Tagung "Ingenieurbau zwischen Kunst und Wissenschaft: Johann August Röbling1806-1869 ¿ Vom preußischen Baukondukteur zum Konstrukteur der Brooklyn Bridge". Die internationale Tagung der Fachhochschule Potsdam, die am 9. und 10. Juni 2006. Eigener Beitrag (23 Seiten) im Tagungsreader unter dem Titel "John A. Röbling ¿ Die Niagara-Eisenbahn- Hängebrücke"
- Nele Güntheroth und Andreas Kahlow: Johann August Röbling ¿ John Augustus Roebling (1806-1869). In: Ingenieurbaukunst in Deutschland. Jahrbuch 2005/2006. Herausgegeben von der Bundesingenieurkammer. Junius Verlag Hamburg 2005, S. 124-137