Coupling of lithosphere dynamics, surface processes and ice sheet evolution - constraints from Marie Byrd Land, West Antarctica
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Um das zukünftige Verhalten der antarktischen Eisschilde vorhersagen zu können, bedarf es eines generellen Verständnisses der Eisschild-Dynamik. Für das westantarktische Eisschild wird allgemein angenommen, dass es durch die Eigenschaften der unterlagernden Erdkruste beeinflusst wird. Wie dieses Zusammenspiel von Lithosphäre und Eisschilden aber genau funktioniert und ob es eine wechselseitige Beeinflussung gibt, ist noch weitgehend unbekannt. Darüber hinaus ist sowohl die langzeitliche geodynamische Entwicklung der Westantarktis als auch die langfristige Entwicklung des westantarktischen Eisschildes noch wenig erforscht. Ziel dieses Projektes war es, anhand von geophysikalischen und thermochronologischen Methoden die geodynamische Geschichte von Marie Byrd Land (Westantarktis) genauer zu beschreiben, vor allem in Hinblick auf Krustenstrukturen, Hebungs- und Abtragungsraten, Störungsaktivitäten und Entwicklung des geothermischen Gradienten. Darüber hinaus haben wir die kosmogene Nuklid-Methode eingesetzt, um Ausdünnungs- und Rückzugsraten der Gletscher Marie Byrd Lands zu rekonstruieren. Anhand der Kombination dieser drei Datensätze können räumliche und zeitliche Zusammenhänge von Geodynamik und Eisschild- Entwicklung erfasst werden. Unser Projekt soll zu einem besseren Prozess-Verständnis bezüglich der Zusammenhänge von Lithosphärendynamik, Oberflächenprozessen und Eisschilddynamik beitragen und somit verfeinerte Modelle zur zukünftigen Vorhersage von Vereisungsgeschichten ermöglichen. Der geophysikalische Anteil des Projekts umfasste seismische, gravimetrische und magnetische Messungen entlang des Kontinentalrandes von Marie Byrd Land und der Amundsen-Meer Bucht. Diese wurden im Jahre 2006 und 2010 im Rahmen von zwei Expeditionen des Forschungs-Eisbrechers Polarstern durchgeführt. Die Analyse seismischer Daten ergab, dass präglaziale Ablagerungen des inneren Kontinentalschelfs im Bereich des Wrigley Golfs (Zentral-Marie Byrd Land) mit höheren Winkeln in Richtung des offenen Ozeans einfallen als vergleichbare Ablagerungen aus anderen inneren Schelf-Bereichen der Antarktis. Dieser Befund legt einen Zusammenhang mit der Hebung Marie Byrd Lands nach dem Kontinentalaufbruch von Gondwana nahe. Unterstützt wird diese Interpretation auch durch die Modellierung gravimetrischer Daten unter Einbeziehung bereits publizierter Werte zur Beschaffenheit des oberen Erdmantels. Die thermochronologischen Daten zeigen, dass die Hebung des Marie Byrd Land Doms nur mit geringen Erosionsbeträgen einherging. Die neu gewonnenen thermochronologischen Daten erlauben auch, die Erosion und damit vermutlich auch die Hebung Marie Byrd Lands in einen zeitlichen Rahmen einzuordnen: obwohl die Datengrundlage nicht sehr umfangreich ist, deuten die Daten darauf hin, dass die Hebung erst um ~20 Ma begann, also wesentlich später als bislang angenommen. Da Marie Byrd Land der einzige größere landfeste Bereich der Westantarktis ist, implizieren unsere Daten auch, dass eine großräumige kontinentale Vereisung der Westantarktis erst ab dem Miozän möglich war, und nicht wie bislang angenommen bereits an der Eozän-Oligozän Grenze. Die Auswertung von Tiefenseismik und Gravimetrie aus dem südöstlichen Amundsen Meer legt einen relativ heißen Mantel unterhalb der Amundsen-Meer Bucht nahe, vermutlich bedingt durch die Unterlagerung der Unterkruste mit mafischen bis ultramafischen Intrusivkörpern. Diese Intrusionen stehen vermutlich mit den verschiedenen Aufbruchphasen zwischen der Westantarktis und Neuseeland in Zusammenhang. Die seismische Hochgeschwindigkeitszone unterhalb der Unterkruste kann mit Mantelmaterial, das aufgrund einer thermischen Dämmwirkung der Kruste von der Westantarktis in Richtung Marie-Byrd-Seamount-Provinz geflossen ist, in Verbindung gebracht werden. Die aus der Geophysik abgeleitete kreidezeitliche Situation passt auch zu den thermochronologischen Daten. Diese zeigen eine schnelle Gesteinsabkühlung während der gesamten Kreide, die auch über den Wechsel von einer aktiven zu einer passiven Plattengrenze entlang des ehemaligen Gondwana-Randes andauert. Wir interpretieren die Abkühlgeschichte als Ausdruck eines gravitativen Kollapses des Gebirges, das sich entlang des ehemaligen Gondwana-Randes zwischen Paläozoikum und der Kreide befunden hat. Der Kollaps wird durch die verdickte und thermisch geschwächte Kruste ermöglicht und durch die im Rahmen von kontinentalen Aufbruch und Rifting freiwerdenden Räume verstärkt. Während des Känozoikums sind weite Teile der Amundsen-Meer Küste durch sehr geringe Abtragungsraten gekennzeichnet; lediglich ein Bereich entlang der westlichen Pine Island Bucht erfuhr schnelle Abkühlung und Abtragung. Wir interpretieren dieses Abkühlungsmuster als Ausdruck känozoischer Aktivität eines Armes des Westantarktischen Riftsystems, der vom kontinentalen Inneren bis ins Amundsen Meer reicht. Von unseren Daten leiten wir ein Modell für das Westantarktische Riftsystem ab, bei dem (i) die westliche Pine Island Bucht seit dem frühen Oligozän durch sinistrale Transtension gekennzeichnet ist, verbunden mit magmatischer Aktivität im Bereich des Mt. Murphy (Dorrel Gabbro Intrusion), (ii) das ins Bellingshausen Meer reichende Ferrigno Rift zeitgleich dextrale Transtension erfuhr und (iii) dadurch der Thurston Island Kontinental-Block Richtung Nord-Osten bewegt wird. Dieses Modell erklärt die subglaziale Morphologie des Riftsystems und stellt einen kinematischen Zusammenhang her zwischen der Entstehung des Haupttals des Pine Island Gletschers, der Pine Island Bucht, des Bentley Trogs, des subglazialen Byrd-Beckens und des Ferrigno Rifts. Obwohl unsere Daten keine direkte Korrelation zwischen der langzeitlichen geodynamischen Krustenaktivität und der modernen Gletscherdynamik zulassen, zeigen sie aber doch, dass der Großteil der untersuchten Glazialsysteme durch subglaziale tektonische Strukturen gesteuert wird. Durch Oberflächendatierungen konnten wir die Ausdünnungsgeschichte des Kohler-Gletschers seit dem letzten glazialen Maximum rekonstruieren und einen ersten Versuch unternehmen, diese mit dem horizontalen Gletscherrückzug im marinen Bereich in Einklang zu bringen. Unsere Daten zeigen, dass die heutige Eissituation weitgehend bereits im Früh-Holozän erreicht war und dass die langzeitlichen Ausdünnungsraten mehr als eine Größenordnung unter den über die letzten Dekaden beobachteten Raten liegen. Die heute beobachteten hohen Massenverluste der westantarktischen Gletscher sind daher ein rezentes Phänomen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2014) A community-based geological reconstruction of Antarctic Ice Sheet deglaciation since the Last Glacial Maximum. Quaternary Science Reviews, 100, 1-9
The RAISED Consortium: Bentley, M., ... Lindow, J., ... Spiegel, C., ... Zwartz, D.
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(2014). Glacial retreat in the Amundsen Sea sector, West Antarctica – first cosmogenic evidence from central Pine Island Bay and the Kohler Range. Quaternary Science Reviews, 98, 166-173
Lindow, J., Castex, M., Wittmann, H., Johnson, J.S., Lisker, F., Gohl, K., Spiegel, C.
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(2014). Reconstruction of changes in the Amundsen Sea and Bellingshausen Sea sector of the West Antarctic Ice Sheet since the Last Glacial Maximum. Quaternary Science Reviews, 100, 55-86
Larter, R., Anderson, J., Graham, A., Gohl, K., Hillenbrand, C.-D., Jakobsson, M., Johnson, J., Kirshner, A., Kuhn, G., Nitsche, F., Smith, J., Bentley, M., Dowdeswell, J., Ehrmann, W., Klages, J., Lindow, J., O´Cofaigh, C., Spiegel, C.
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(2014). The crustal structure and tectonic development of the continental margin of the Amundsen Sea Embayment, West Antarctica: implications from geophysical data. Geophysical Journal International
Kalberg, T., Gohl, K.