Beeinflusst Kontingenzlernen das Blickfolgeverhalten und die Aufmerksamkeitslenkung von Säuglingen?
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Babys sind in ihrer kognitiven Entwicklung und ihrem Lernen in hohem Maße auf Anregungen durch die Menschen in ihrer Umgebung angewiesen. Insbesondere ist die Blickrichtung ein wichtiges Signal, das den Blick von Babys auf relevante und potentiell belohnende Informationen in der Umwelt lenkt. Das Blickfolgeverhalten gilt daher als Meilenstein der sozial-kognitiven Entwicklung und ist unter anderem positiv mit der späteren Sprachentwicklung assoziiert. Die Mechanismen, die dem Blickfolgeverhalten in der frühen Entwicklung zugrunde liegen waren jedoch bisher in der Literatur kontrovers debattiert und noch wenig erforscht. Insbesondere war ungeklärt, welche Rolle Belohnungslernen im Gegensatz zu einer angeborenen Sensitivität für soziale Signale spielt. In diesem Projekt haben wir in vier Studien das spontane Blickfolgeverhalten von vier Monate alten Babys untersucht und getestet, in wie fern dieses Verhalten von Belohnungslernen abhängt, bzw. dadurch beeinflusst werden kann. In der ersten Studie fanden wir heraus, dass Babys der Blick- und Kopfausrichtung einer anderen Person bereits spontan folgten. Je öfter Babys in einer Trainingsphase für dieses Verhalten durch eine blick-kontingente Animation belohnt wurden, desto mehr folgten sie auch in einer Testphase noch der Person. Eine Belohnung des gegenteiligen Verhaltens (also Blicken in die Gegenrichtung der Person) wirkte sich dagegen nicht auf das Blickfolgeverhalten der Babys aus. In einer zweiten Studie fanden wir heraus, dass Babys nicht spontan der Ausrichtung einer Box mit schematischen Augen an der Vorderseite folgten. Allerdings lernten Babys im Laufe des Versuchs auch dieser Box mit ihrem Blick zu folgen, nicht aber einer Box mit Markierungen, die nicht wie Augen aussahen. Insgesamt sprechen die Ergebnisse beider Studien für eine starke Orientierung schon vier Monate alter Babys in Richtung der Augen einer anderen Person. Gleichzeitig zeigen die Befunde eine gewisse Flexibilität im Blickfolgeverhalten, das in der zweiten Studie auch auf einen nicht-menschlichen Agenten mit schematischen Augen generalisiert wurde. In einer weiteren Studie haben wir die Blickrichtung und Kopfausrichtung einer Person als soziale Hinweisreize gegenübergestellt. Während Babys wieder der Kopfausrichtung der Person folgten, auch wenn die Augen nach vorne gerichtet blieben, hatten die Augen allein, bei nach vorn gerichtetem Kopf, keine Auswirkungen auf die Blicklenkung der Kleinen. Während die Anwesenheit von Augen beim Stimulus also eine wichtige Rolle zu spielen scheint, ist die Kopfausrichtung als salienterer Reiz für die Blicklenkung vier Monate alter Säuglinge effektiver als die – deutlich kleiner ausgeprägte – Ausrichtung der Augen an sich. Schließlich fanden wir in einer vierten Studie heraus, dass Babys isolierten „Blicken“ schematischer Augen ohne Gesicht zwar spontan folgen, an diesen Stimuli aber, trotz Belohnung des Verhaltens, schnell das Interesse verloren. Zusammengenommen können wir aus den Ergebnissen des Projekts schließen, dass Babys im Alter von vier Monaten zuverlässig dem Aufmerksamkeitsfokus anderer Personen folgen, sich dabei aber vorwiegend auf die Kopfausrichtung und weniger auf die tatsächliche Blickrichtung beziehen. Die Anwesenheit von Augen scheint sich jedoch darauf auszuwirken, ob ein Stimulus überhaupt als sozialer Agent wahrgenommen wird, dem zu folgen es sich lohnt. Unsere Befunde sprechen dafür, dass Belohnungslernen sich durchaus auf das Blickfolgeverhalten im Säuglingsalter auswirkt, allerdings nur in Anwesenheit sozialer Hinweisreize. Mit einer Sensibilität für diese Hinweisreize sind Babys im Alter von vier Monaten offenbar bereits ausgestattet.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2017). Infants' object processing is guided specifically by social cues. Neuropsychologia
Michel, C., Wronski, C., Pauen, S., Daum, M., & Hoehl, S.
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(2017). Schematic eye-gaze cues influence infants’ object encoding dependent on their contrast polarity. Nature Scientific Reports
Michel, C., Pauen, S., & Hoehl, S.