Die Zukunft in den Sternen: Europäischer Astrofuturismus und außerirdisches Leben im 20. Jahrhundert
Final Report Abstract
Dem Nachdenken über den die Erde umgebenen Raum kam im 20. Jahrhundert eine zentrale Bedeutung für das Selbstverständnis westeuropäischer Gesellschaften zu. Während sich Forschungen zur Wirkmächtigkeit des Kalten Krieges seit langer Zeit großer Beliebtheit erfreuen, konnte der Weltraum historiographisch bisher als weitgehend unerschlossen gelten, zumal in Europa. Für die Arbeit und den Erfolg der Forschergruppe bedeutet diese Ausgangssituation Segen und Fluch zugleich. Die im ursprünglichen Antrag vollmundig formulierte Ankündigung, dass dieses Forschungsvorhaben ‚Neuland‘ betrete, hat sich beinahe zwangsläufig bewahrheitet. Dass es auch in Westeuropa, nicht nur in den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, bis etwa Mitte der 1970er eine umfassende Weltraumbegeisterung gab, die weite Teile der Gesellschaft erfasste und sich keineswegs in Elitendiskursen erschöpfte, war den Bearbeitern von Anbeginn klar; dass das Weltraumdenken ein derart weites Spektrum an Spielarten umfasste, sich an ganz unterschiedlichen Orten niederschlug und Eingang in eine Vielzahl heterogener Debatten und Kontroversen in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik fand, nicht. Das von der Forschergruppe kreierte Forschungsfeld „Geschichte der europäischen Astrokultur“ ist umfangreicher und vielgestaltiger, als es zunächst den Anschein hatte. Aus der Tatsache, dass sich die Mitglieder der überschaubaren Forschergruppe jeweils auf ihre Unterprojekte zu konzentrieren hatten, folgt zugleich, dass nur ein Teil der Anregungen, die sich aus den gemeinsamen Forschungsaktivitäten ergaben, in der wünschenswerten Tiefe wie Breite verfolgt werden konnten. Beispielsweise ließen sich eigenständige Forschungsprojekte zur Begriffsgeschichte des Atom- und Weltraumzeitalters, zur Bildsprache des Weltraumkinos, zur Figur des Außerirdischen oder zur Militarisierung des Weltraums in den 1980er Jahren denken. Dass inzwischen Kulturwissenschaftler, Technikhistoriker und Literaturwissenschaftler in Padua, Paris, Peenemünde, London und Zürich den Weltraum ebenfalls für sich entdeckt haben – allerdings allesamt zu einem deutlich späteren Zeitpunkt – lässt sich als Bestätigung dieser Pionierleistung begreifen. Ein zweites Ergebnis ist ähnlich paradox. Einerseits hat sich die Entscheidung, Weltraumgeschichte aus einer dezidiert (west-)europäischen Perspektive zu betreiben, als sinnvoll erwiesen. Auch wenn zu Spanien, Italien, Frankreich, den Beneluxstaaten, aber auch zu Skandinavien bislang kaum Arbeiten vorliegen, rührt gerade im internationalen Kontext ein Großteil der Originalität dieses Projektes aus seinem (west-)europäischen Fokus. Das Einziehen einer europäischen Zwischenebene ist und war heuristisch wie forschungspraktisch sinnvoll, kann letzten Endes jedoch nur einen Zwischenschritt darstellen. Einmal mehr ist Globalität das entscheidende Stichwort. Zwei Anschlussfragen stellen sich fast unweigerlich: Warum entwickelte sich, erstens, gerade die Raumfahrt nicht nur in den USA, der UdSSR und Europa, sondern auch in nicht-westlichen Ländern wie Indien, China und Japan bereits in den 1950er Jahre zum Inbegriff technoszientistischer Hypermodernität? Und ist, zweitens, das Argument zutreffend, dass die als ‚Globalisierung‘ diskutierten internationalen Verflechtungsprozesse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts technisch (Satelliten) wie konzeptionell (Bilder des Globus) ohne die Weltraumerschließung nicht zu denken wären? Solche Fragen müssen einem eigenständigen Nachfolge- und Anschlussprojekt zur doppelten Globalisierung der Weltraumgeschichte vorbehalten bleiben. Ein internationales Symposium Global Astroculture and the Planetization of Earth findet sich gegenwärtig in Vorbereitung und wird mit Unterstützung der Qian Xuesen Library and Museum der Shanghai Jiao Tong University, dem Shanghai Science and Technology Museum, des Smithsonian National Air and Space Museum und der NASA anlässlich des 50. Jahrestag der ersten Mondlandung im Juli 2019 an der New York University Shanghai stattfinden. Schließlich hat sich der als ungewöhnlich wahrgenommene Zuschnitt des Forschungsprojektes von Anfang an in einem ungewöhnlich großen Medieninteresse niedergeschlagen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Frankfurter Rundschau berichteten noch vor Projektstart zum ersten Mal, während das Berliner Szene- und Veranstaltungsmagazin tip pointiert titelte „Das Forschungsprojekt gibt’s wirklich: Astrofuturismus“. Die zusammen mit dem Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums kuratierte Filmreihe „Weltraumkino“ wurde von insgesamt knapp 1200 Zuschauern besucht. Die umfangreichen Aktivitäten der Gruppe wurden von den Medien sorgfältig verfolgt und begleitet. So berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung gleich sechsmal, der Tagesspiegel fünfmal. Gruppenmitglieder haben der BBC, dem Deutschlandradio, dem HR, dem RBB, dem WDR und dem Schweizer Radio DRS in Interviews ausführlich Rede und Antwort gestanden. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ein eigenes Video produziert. Und zuletzt hat Alexander Kluge gleich mehrere Sendungen im Rahmen seiner auf RTL gezeigten Fernsehreihe 10 vor 11 ausgestrahlt.
Publications
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Astroculture and Technoscience, London: Routledge, 2012 (= History and Technology 28.3)
Geppert, Alexander C.T. (Hg.)
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Imagining Outer Space: European Astroculture in the Twentieth Century, London: Palgrave Macmillan, 2012/2017 (= European Astroculture, Bd. I) [Paperback-Neuauflage 2017]
Geppert, Alexander C.T. (Hg.)
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‚Crafting the Future: Envisioning Space Exploration in Post-war Britain‘, History and Technology 28.3 (2012), 281–309
Macauley, William R.
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‚Extraterrestrial Encounters: UFOs, Science and the Quest for Transcendence, 1947–1972‘, History and Technology 28.3 (2012), 335–62
Geppert, Alexander C.T.
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Obsession der Gegenwart: Zeit im 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015 (= Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 25)
Geppert, Alexander C. T. und Till Kössler (Hg.)
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‚Demarcations in the Void: Early Satellites and the Making of Outer Space‘, Historical Social Research 40.1 (2015), 239–64
Brandau, Daniel
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‚Die Zeit des Weltraumzeitalters, 1942–1972‘, Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 25 (2015), 218–50
Geppert, Alexander C.T.
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‚Europas Griff nach den Sternen: Das Weltraumlabor Spacelab, 1973–1998‘, Themenportal Europäische Geschichte (2015)
Siebeneichner, Tilmann
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Limiting Outer Space: Astroculture After Apollo, London: Palgrave Macmillan (= European Astroculture, Bd. II) [2018]. 367 S.
Geppert, Alexander C.T. (Hg.)
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Militarizing Outer Space: Astroculture, Dystopia and the Cold War (= European Astroculture, Bd. III) [2018, in Vorbereitung]
Geppert, Alexander C.T., Daniel Brandau und Tilmann Siebeneichner (Hg.)
