Detailseite
Projekt Druckansicht

Undercooling and solidification of liquid metals under different conditions of convection

Antragsteller Professor Dr. Dieter M. Herlach (†)
Fachliche Zuordnung Thermodynamik und Kinetik sowie Eigenschaften der Phasen und Gefüge von Werkstoffen
Förderung Förderung von 2009 bis 2011
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 142234862
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Durch das Unterkühlen einer Schmelze entsteht eine negative Differenz der freien Enthalpien von fester und flüssiger Phase, die eine „treibende Kraft“ zur Kristallisation bereitstellt. Die Erstarrung der unterkühlten Schmelze erfolgt schließlich durch thermisch aktivierte Keimbildung und anschließendes Kristallwachstum. Das resultierende Gefüge hängt dabei entscheidend von den Bedingungen ab, die während der Erstarrung der Schmelze vorliegen und bestimmt letztlich viele physikalische Eigenschaften des Festkörpers. Während der Phasenumwandlung wird die Mikrostruktur durch den Wärme- und Massentransport als auch durch atomistische Prozesse an der fest-flüssig Phasengrenzfläche bestimmt. Der negative Temperaturgradient bedingt hier typischerweise die Ausbildung dendritischer Strukturen. Dabei spielt – neben der Unterkühlung – einerseits der Einfluss der Konvektion in Form von Strömungen in der Schmelze als auch die Kristallstruktur der festen Phase eine wichtige Rolle. Letztere führt über eine richtungsabhängige Grenzflächenenergie sowie eine anisotrope Grenzflächenmobilität zu bevorzugten Wachstumsrichtungen des Kristalls. Während die Dendriten kubischer Kristalle vorzugsweise entlang der kristallographischen <100> Richtungen wachsen, ist das Wachstum nicht-kubischer Systeme (aus dem unterkühlten Zustand) bis heute kaum systematisch untersucht worden. Im vorliegenden Projekt wurde die Wachstumsgeschwindigkeit eines nicht-kubischen Kristalls als Funktion der Unterkühlung unter verschiedenen Bedingungen der Konvektion gemessen. Zu diesem Zweck wurden verschiedene experimentelle Methoden eingesetzt, die sich jeweils durch unterschiedlich stark ausgeprägte Strömungsgeschwindigkeiten in der unterkühlten Schmelze auszeichnen. Hierbei handelt es sich um die elektromagnetische Levitation unter Bedingungen der Erdgravitation (1g EML) als auch in reduzierter Schwerkraft während eines Parabelflugs (µg EML), die Schmelzflusseinlagerung (MF) sowie die elektrostatische Levitation (ESL). Die Schmelzflussexperimente wurden unter dem Einfluss eines externen statischen Magnetfeldes von 1,12 T durchgeführt (MF+B), um festzustellen, inwiefern der Einfluss der natürlicher Konvektion durch solche Felder minimiert wird. Hierfür wurde eine neue Experimentanlage entwickelt und aufgebaut. Die in den verschiedenen Experimenten maximal auftretenden Strömungsgeschwindigkeiten hängen zwar stark von einer großen Zahl experimenteller Parameter ab, können aber durch magnetohydrodynamische Rechnungen, z.T. auch experimentell, abgeschätzt werden. Die Untersuchung wurde an tetragonalem Ni2B durchgeführt, das sich einerseits – aufgrund der chemisch geordneten Phase – durch ein diffusionskontrolliertes Wachstum und damit eher kleine Wachstumsgeschwindigkeiten im Bereich der in den Experimenten zu erwartenden Strömungsgeschwindigkeiten auszeichnet und somit einen Einfluss der Konvektion auf das Wachstum wahrscheinlich macht, und andererseits den durch die verschiedenen experimentellen Methoden zugrundeliegenden, vielfältigen Einschränkungen und Ansprüchen genügt. In den Experimenten wurden kleine (d ≈ 1cm), näherungsweise sphärische Proben prozessiert, und deren Unterkühlung durch Pyrometrie bestimmt. Der Verlauf der Kristallisationsfront während der Erstarrung wurde mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeitsvideokamera festgehalten. Die Bestimmung dendritischer Wachstumsgeschwindigkeiten anhand dieser Hochgeschwindigkeitsvideos stellte eine besondere Herausforderung dar, da einerseits die Kamera einzelne Dendriten nicht auflösen kann und andererseits die Einhüllende der Erstarrungsfront nur entlang der Oberfläche der Probe verfolgt werden kann. Zu diesem Zweck wurde ein neues Auswerteverfahren entwickelt, dass nicht nur die Bestimmung der Wachstumsgeschwindigkeiten entlang bestimmter kristallographischer Richtungen ermöglicht, sondern, verbunden mit einer Mikrostrukturanalyse (EBSD) erstarrter Proben, auch Rückschlüsse auf den zugrunde-liegenden Wachstumsmechanismus und somit den Einfluss der tetragonalen Kristallstruktur zulässt. Ni2B wächst im Falle kleiner bis mittelgroßer Unterkühlungen (ΔT < 230K) bei spontaner Nukleation als Einkristall, dessen äußere Form eindeutig durch das Achsenlängenverhältnis der tetragonalen Einheitszelle festgelegt ist. Aufgespannt wird der Kristall durch Primärdendriten entlang der kristallographischen {111} Flächennormalen. Sekundäre und tertiäre Dendritenarme wachsen bei gleicher und konstanter Geschwindigkeit ebenfalls senkrecht zu den {111} Flächen. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zu kubischen Systemen. Der Einfluss der Konvektion macht sich in zweierlei Hinsicht bemerkbar. Erstens steigen die gemessenen Wachstumsgeschwindigkeiten bei konstanter Unterkühlung stetig mit der erwarteten Strömungsgeschwindigkeit in der Schmelze (gut vereinbar mit theoretischen Vorhersagen) und zweitens führt starke, erzwungene Konvektion (1g EML) zu einem Übergang im Wachstumsmodus. Unter dem Einfluss hoher Strömungsgeschwindigkeiten findet man statt dem oben beschriebenen Wachstum entlang der {111} Flächennormalen vorzugsweise das Wachstum von länglichen Strukturen entlang der kristallographischen <001> Richtung. Die innere Beschaffenheit dieser Strukturen weist dabei auf einen eher facettierten Wachstumsmechanismus hin. Interessanterweise liegt Ni2B einer Einordnung nach Jackson [6] zufolge im Übergangsbereich zwischen dendritischem und facettiertem Wachstum. Der in den Experimenten bestimmte Verlauf der Wachstumsgeschwindigkeiten als Funktion der Unterkühlung konnte unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse innerhalb des „Sharp-Interface“ Modells quantitativ reproduziert werden. Es wurde gezeigt, dass der Einfluss der Konvektion auf den Wärme- und Massentransport zu klein ist, um den gemessenen Verlauf der Geschwindigkeiten zu erklären. Erst die Hinzunahme eines kinetischen Parameters, der ebenfalls den durch starke Konvektion induzierten Übergang im Wachstumsmodus beschreibt, führte zu einer sehr guten Übereinstimmung zwischen den experimentell gemessenen und mesoskopisch modellierten Kurven. Für größere Unterkühlungen (230K < ΔT < ΔTmax = 272K) wächst Ni2B polykristallin in näherungsweise sphärischer Form. Der Einfluss der Unterkühlung als auch der Konvektion auf die Ausbildung der Mikrostruktur während der Erstarrung unterkühlter Schmelzen, insbesondere im Falle nicht-kubischer Systeme, stellt eine interessante Themenstellung für zukünftige vergleichende Untersuchungen der Erstarrungsdynamik dar. Hier bieten sich vielfältige Möglichkeiten, z.B. die Analyse konvektionsbedingter Übergänge im Wachstumsverhalten. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Kristallstruktur und Erstarrungsverhalten sind, ausgehend von den im Rahmen dieses Projekts erzielten Ergebnissen, z.B. systematische Untersuchungen an Probensystemen mit komplizierteren Einheitszellen denkbar. Insbesondere liefert die mesoskopische Modellierung über wichtige Parametersätze (kinetischer Koeffizient, Stabilitätskonstanten) einen wichtigen Beitrag für Computersimulationen auf anderen Skalen. Eine direkte Anwendung der Ergebnisse, z.B. in der Gießereitechnik, ist kurzfristig nicht gegeben. Langfristig ist allerdings vorstellbar, dass man durch konvektive Transportprozesse gezielt Erstarrungsvorgänge manipulieren oder sogar kontrollieren kann.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung