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Speziation oder Extinktion individuenarmer Teilpopulationen von Barbitistes serricauda (Saltatoria) als Folge des Wandels von der Natur- zur Kulturlandschaft

Fachliche Zuordnung Ökologie und Biodiversität der Tiere und Ökosysteme, Organismische Interaktionen
Förderung Förderung von 2005 bis 2008
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 14271211
 
Erstellungsjahr 2008

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das von der flugunfähigen Baum bewohnenden Laubholz-Säbelschrecke Barbitistes serricauda (Fabricius 1798) besiedelte Gebiet in Zentraleuropa wurde in prähistorischer Zeit durch die wahrscheinlich anthropogen begünstigte Ansiedlung der Rotbuche fragmentiert. Damit veränderte der Mensch nachhaltig den Lebensraum dieser Art in einer Weise, die der Veränderung und Nachhaltigkeit von geologischen Prozessen vergleichbar ist. Die wenig mobilen, flugunfähigen Tiere können die Rotbuche als Nahrungspflanze nicht nutzen. Populationen dieser Heuschrecke lassen sich daher nicht auffinden, wo die Rotbuche zur Dominanz gelangt ist. Die Populationen von B. serricauda zeichnen sich häufig über mehrere Generationen durch eine äußerst geringe Individuendichte - oft weniger als 15 Tiere - aus. Die populationsgenetische AFLP-Analyse ergab eine erstaunlich große genetische Distanz zwischen verschiedenen Populationen dieser Art. Der mittlere Fst-Distanzwert lag bei 0,2486 - ein Wert, der auf dem gleichen Niveau liegt wie zwischen verschiedenen Arten der Gattung Barbitistes; der Fsi-Wert für die Distanz zwischen B. yersini und B. ocskayi war beispielsweise 0,2733; die Distanz zwischen zwei B. serricauda-Populationen aus dem norddeutschen Raum erreichte sogar einen Wert von 0,385. Populationen mit geringer geographischer Distanz zeigten keine geringere genetische Distanz als weiter entfernte Populationen. Als Ursache für die relativ große genetische Distanz wird genetische Drift in den Populationen angenommen. Unter standardisierten Bedingungen gezüchtete Tochtergenerationen von 20 Populationen wiesen signifikant unterschiedliche Beinlängen adulter Tiere auf. Es ergaben sich ebenfalls Unterschiede im Ablauf der durch maternelle Einflüsse maßgeblich beeinflussten Embryonalentwicklung. Beides deutet auf Differenzierungsprozesse zwischen den lokal isolierten Populationen hin. Die Folgen einer bei kleinen Populationen anzunehmenden Inzucht wurden mit Versuchen zur Überlebenswahrscheinlichkeit abgeschätzt. Dabei besaßen verschiedene Populationen eine sehr unterschiedliche relative Überlebensrate. Offenbar ist die Mehrzahl der Populationen trotz Inzucht keinem erhöhten Aussterberisiko ausgesetzt, zumal in keiner Population Fehlbildungen in der postembryonalen Entwicklung zu beobachten waren. Zuchtlinien, in denen gezielt Inzucht betrieben wurde, zeigten ebenfalls keine verminderte Fitness gegenüber den Kontrollzuchten. Die Zeitmuster der Männchengesänge gaben keinen Hinweis auf eine sich entwickelnde präzygotische Isolation zwischen Populationen. Es gab aber Hinweise auf eine zwischen einzelnen Populationen im Entstehen begriffene postzygotische Isolation: Im Labor erzeugte "Populationshybriden", deren Eltern aus jeweils unterschiedlichen Teilpopulationen stammten, besaßen unter den standardisierten Laborbedingungen eine zum Teil deutlich reduzierte Überlebenswahrscheinlichkeit. In Partnerwahlversuchen, in denen Weibchen jeweils zwischen zwei unterschiedlichen Männchen wählen konnten, bevorzugten die Weibchen unerwarteterweise dennoch mehrheitlich das populationsfremde, also das genetisch andersartige, Männchen. Dabei war zu beobachten, dass die eigentliche Auswahl erst bei direktem Kontakt der Tiere stattfand, hier also eine chemische Komponente bestimmend ist. Zwar führte die Fragmentierung des Habitats zu einer drastischen Einschränkung des genetischen Austausches zwischen Populationen dieser Heuschreckenart. Doch durch diese Isolation lokaler Vorkommen kam es zu Diversifizierungsprozessen, woraus eine große genetische Vielfalt innerhalb der Art resultiert, die als Speziationsprozess bezeichnet werden kann. Damit kann eine Habitatfragmentierung langfristig einen Beitrag zur Biodiversität liefern, auch wenn einige Populationen lokal aussterben.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Dissertation von Christian Richter: Evolution isolierter Teilpopulationen der Laubholz- Sägeschrecke Barbitistes serricauda (FABRICIUS 1798) (Siehe online unter: http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/2008/richter_c/richter_c.pdf )

  • Richter C., Gottwald J., Knorr C. & Stumpner A. (2008): Speciation in process between small isolated populations of the bush cricket Barbitistes serricauda caused by anthropogenic fragmentation, Seite 296. In: Systematics 2008 Programme and Abstracts (Göttingen 7-11 April 2008). Herausgeber: S.R. Gradstein, S. Klatt, F. Normann, P. Weigeft, R. Willmann und R. Nilson. ISBN: 978-3-940344-23-6, Universitätsverlag Göttingen.

 
 

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