Die Militärgeschichte des Ersatzheers am Beispiel der Divisionen Nr. 156 / 526. Tätigkeitsprofil und Spruchpraxis der Wehrmachtjustiz im 'Heimatkriegsgebiet' 1939-1945
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war es, das Profil, die Geschäftstätigkeit und kriegsgesellschaftlichen Implikationen der bisher weitgehend unerforschten Militärgerichte des Ersatzheers im Kriegsalltag des Zweiten Weltkriegs zu untersuchen. Im Ergebnis kombinierte eine Mixed-Methods-Studie erstmals umfangreiche quantitative Erhebungen zu rund 5.500 Verfahrensakten und Geschäftsregistern von zwei Gerichten mit qualitativen Analysen. Grundannahme bildete die Überlegung, dass alltägliche Strukturen und Mechanismen der Wehrmachtjustiz an der „Heimatfront“ nur über einen systematischen, quantitativen Ansatz mit qualitativen Rückkopplungen über den gesamten Kriegsverlauf zu ermitteln sind. Das Projekt fußt deshalb auf einer breiten Quellenbasis von Ermittlungs- und Verfahrensakten über Personalunterlagen militärischer und zivilgerichtlicher Provenienz bis hin zu zeitgenössischen Publikationen. Als Fallbeispiel dienen zwei der größten Militärgerichte der Ersatztruppen: die Divisionen Nr. 156 und Nr. 526, die im Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen stationiert waren, phasenweise aber auch in den besetzten Ostgebieten und in Frankreich, Belgien und den Niederlanden agierten. Im Ergebnis zeigt sich, dass es – rein von den Kapazitäten gesehen – gerade die Gerichte des Ersatzheers waren, die die Wehrmachtjustiz de facto konstituierten. Denn sie verfügten über die erforderlichen Ressourcen mit entsprechender materieller und personeller Ausstattung, um die Masse der Strafsachen und Aktenabgaben der Feldgerichte auf der lokalen Ebene im Alltagsbetrieb bearbeiten zu können. Die Gerichte zeigten hier ein hohes Arbeitspensum und stark differenziertes Spruch- und Sanktionsprofil. Ihre Strafverfolgung gestaltete sich dabei weder einheitlich, noch stieg sie im Kriegsverlauf kontinuierlich an. Prägekräfte bildeten neben der Umsetzung der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs vor allem situative und personelle Momente, die Nutzung militärischer Ressourcen, Fragen der Ausbildung und Disziplinierung sowie kriegsgesellschaftliche Implikationen. Insbesondere den Ersatzheer-Gerichten kam eine ausgeprägt kontrollierende und erzieherische Aufgabe zu: Rekruten und Soldaten, die kurz vor ihrem nächsten Fronteinsatz standen, sollten gerade in den Ersatztruppen den Normenkatalog und die Disziplinierungsmöglichkeiten des Militärs vermittelt bekommen, ehe sie ins Feldheer gelangten. Zugleich galt das Ersatzheer als verlängerter Arm der Wehrmacht in die lokale Kriegsgesellschaft hinein. Deviante Verhaltensweisen der Soldaten sollten daher keinesfalls dazu beitragen, die Kriegsstimmung der Zivilbevölkerung zu schädigen. Die Richter verhandelten deshalb täglich, welche Umgangsformen sie zwischen Soldaten und Zivilisten duldeten und welche sie sanktionierten, und nahmen proaktiv Möglichkeiten wahr, um die Verhältnisse im Sinne der Wehrmacht mitzugestalten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Frauen vor Gericht. Geschlechtsspezifische Zuschreibungspraktiken in der national-sozialistischen Strafrechtsprechung 1939-1945, in: Christine Künzel/Gaby Temme (Hg.), Hat Strafrecht ein Geschlecht? Zur Deutung und Bedeutung der Kategorie Geschlecht in strafrechtlichen Diskursen vom 18. Jahrhundert bis heute, Bielefeld 2010, S. 195-209
Löffelsender, Michael
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Justiz im Krieg. Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939-1945 (= RechtsGeschichte. Kölner interdisziplinäre Schriften zur Geschichte von Recht und Justiz 3), Münster 2012
Haferkamp, Hans-Peter/Ullmann, Hans-Peter/Szöllösi-Janze, Margit (Hg.)
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Organisationen im Krieg. Die Justizverwaltung im Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939-1945, Tübingen 2012
Herbers, Matthias
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Strafjustiz an der Heimatfront. Die strafrechtliche Verfolgung von Frauen und Jugendlichen im Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939-1945, Tübingen 2012
Löffelsender, Michael
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Wehrmachtjustiz im „Heimatkriegsgebiet“. Grundzüge der Militärgerichte des Ersatzheeres im Zweiten Weltkrieg am Beispiel der Gerichte der Division Nr. 156 und Division Nr. 526, in: Hans-Peter Haferkamp/ Hans-Peter Ullmann/Margit Szöllösi-Janze (Hg.), Justiz im Krieg. Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939-1945, Münster 2012, S. 209-245
Theis, Kerstin