Neurophysiologische und neurokognitive Charakterisierung der Basalganglien-Kortex-Interaktionen beim Tourette-Syndrom und deren Modulierbarkeit durch Tiefe Hirnstimulation thalamischer Kernregionen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Teilprojekt 7 der klinischen Forschungsgruppe 219 widmete sich den zugrundeliegenden Defiziten der Inhibition von Tics bei Patient*innen mit Tourette-Syndrom und wie diese durch die Anwendung der tiefen Hirnstimulation des Thalamus verändert werden können. Aus der Fragestellung ergaben sich zwei Teilstudien, eine grundlagenwissenschaftliche, elektrophysiologisch und auf Verhaltensebene orientierte Untersuchung sowie eine „sham-kontrollierte“ klinische Studie zur Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation im medialen Thalamus hinsichtlich der Reduktion von Tics und der Steigerung der assoziierten Lebensqualität von Patient*innen mit Tourette Syndrom Die Untersuchungen ergaben dabei, dass der mediale Thalamus entscheidend bei der Verarbeitung von positivem und negativem Feedback involviert ist, was wiederum in Form des Verstärkungslernen in der Entstehung und Aufrechterhaltung von Tics eine wesentliche Rolle spielt. Zudem konnte gezeigt werden, dass bei Patient*innen mit Tourette-Syndrom das Unterbrechen von motorischen Handlungen im Vergleich zu gesunden Kontrollen elektrophysiologisch unterschiedlich prozessiert wird. Hierbei zeigte sich, dass Patient*innen durch kompensatorisch erhöhte Aktivität in Arealen der Handlungskontrolle vergleichbare Ergebnisse in der Unterbrechung von motorischen Antworten wie gesunde Proband*innen erreichen können. Die klinische Studie ist auf Grund von Rekrutierungsverzögerungen im März 2019 mit Verzögerung abgeschlossen worden. In einer vorläufigen Analyse der Ergebnisse zeigte sich, dass die tiefe Hirnstimulation thalamischer Zielgebiete die Schwere von Tics nach 6 und 12 Monaten signifikant reduziert bei gleichzeitigem signifikantem Anstieg der Lebensqualität. Die vorläufigen Ergebnisse der doppelt-verblindeten Untersuchung des klinischen „Outcomes“ zeigen, dass die beobachtete Verbesserung der Ticsymptomatik auf die aktive Stimulation zurückzuführen ist. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass funktionelle und strukturelle Verbindungen der Stimulationsregion zu einem Netzwerk bestehend aus prämotorischen und sensorischen Arealen mit einer signifikant besseren Reduktion von Tics einhergehen. Insgesamt erbringen die Analysen und Ergebnisse des Teilprojektes 7 einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Pathophysiologie des Tourette-Syndroms und der neuromodulativen Beeinflussungsmöglichkeiten, auch auf klinischer Ebene. Neben der Entwicklung neuartiger wirksamer Therapieverfahren sind wesentliche Erkenntnisse über die neurobiologischen Grundlagen von Ticstörungen gewonnen worden. Die weitere Etablierung der tiefen Hirnstimulation als Behandlungsmöglichkeit für schwere, therapierefraktäre Verläufe wird durch unsere Arbeiten vorangetrieben und stellt zunehmend eine zusätzliche Behandlungsoption in der Patient*innenversorgung dar. Das öffentliche Interesse an dieser innovativen und möglicherweise effektiven Behandlungsstrategie spiegelt sich auch in einem Beitrag in der Sendung „Visite“ des Norddeutschen Rundfunks (NDR) wieder, in der ein Patient der Studie mit sehr erfreulichem Verlauf begleitet wurde.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Deep Brain Stimulation for Tourette-Syndrome: a Systematic Review and Meta-Analysis. Brain Stimul 2015;9:296–304
Baldermann JC, Schüller T, Huys D, et al.
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Open-label trial of anterior limb of internal capsule-nucleus accumbens deep brain stimulation for obsessivecompulsive disorder: insights gained. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2019 Feb 15. pii: jnnp-2018- 318996
Huys D, Kohl S, Baldermann JC, Timmermann L, Sturm V, Visser-Vandewalle V, Kuhn J
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Rapid feedback processing in human nucleus accumbens and motor thalamus. Neuropsychologia 2015;70:246–54
Schüller T, Gruendler TOJ, Jocham G, et al.
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Deep Brain Stimulation of the Ventral Capsule/Ventral Striatum Reproducibly Improves Symptoms of Body Dysmorphic Disorder. Brain Stimul. 2016;9:957–9
Baldermann JC, Kohl S, Visser-Vandewalle V, et al.
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Motor Improvement and Emotional Stabilization in Patients With Tourette Syndrome After Deep Brain Stimulation of the Ventral Anterior and Ventrolateral Motor Part of the Thalamus. Biol Psychiatry 2016;79:392–401
Huys D, Bartsch C, Koester P, et al.
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The international deep brain stimulation registry and database for gilles de la tourette syndrome: How does it work? Front Neurosci 2016;10
Deeb W, Rossi PJ, Porta M, et al.
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Putting the Pieces Together in Gilles de la Tourette Syndrome: Exploring the Link Between Clinical Observations and the Biological Basis of Dysfunction . Brain Topogr 2017;30:3–29
Hashemiyoon R, Kuhn J, Visser-Vandewalle V
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Altered electrophysiological correlates of motor inhibition and performance monitoring in Tourette’s syndrome. Clin Neurophysiol 2018;129
Schüller T, Gruendler TOJ, Huster R, et al.
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Efficacy and safety of deep brain stimulation in tourette syndrome the international tourette syndrome deep brain stimulation public database and registry. JAMA Neurol 2018;75
Martinez-Ramirez D, Jimenez-Shahed J, Leckman JF, et al.
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Connectivity Profile Predictive of Effective Deep Brain Stimulation in Obsessive-Compulsive Disorder. Biol Psychiatry. 2019 Jan 9. pii: S0006-3223(19)30003-4
Baldermann JC, Melzer C, Zapf A, Kohl S, Timmermann L, Tittgemeyer M, Huys D, Visser-Vandewalle V, Kühn AA, Horn A, Kuhn J