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Vergleichende Funktionsanalyse adhäsiver Lokomotions- und Beutefangstrukturen: Insekten als Ideengeber für die Entwicklung mikrostrukturierter und flüssigkeitsvermittelter bionischer Haftsysteme

Fachliche Zuordnung Systematik und Morphologie der Tiere
Förderung Förderung von 2010 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 149896656
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel des Projektes war es, in einer Kooperation zwischen Zoologen und Chemikern zu einer Funktionsanalyse biologischer Adhäsionsorgane von Insekten zu gelangen. Neben der Analytik der heterogenen Stoffgemische des Tarsalsekrets wurde auch die Struktur und die Leistungsfähigkeit der untersuchten Haftorgane (Adhäsion und Reibung) analysiert. Die erzielten Ergebnisse wurden genutzt, um biomimetisch inspirierte Adhäsionsemulsionen zu präparieren und hinsichtlich ihrer Performanz (Reibung, Adhäsion, Rheologie) zu testen. Neben der chemischen Analytik wurden diese Fragen mittels verschiedener mikroskopischer Methoden, Highspeed-Videoanalysen, Nanotribometrie sowie direkten Verhaltensbeobachtungen adressiert. Untersucht wurden die Haftsysteme dreier unterschiedlicher Insekten: (1) glatte tarsale Haftsysteme der Fauchschabe Gromphadorhina portentosa, (2) behaarte tarsale Haftsysteme zweier Nicrophorus-Arten, (3) behaarte Haftpolster der Fangzunge von Kurzflügelkäfern der Gattung Stenus. Madagassische Fauchschabe Gromphadorhina portentosa: Arolium und Euplantulae weisen ein sekretorisch aktives Epithel auf, dessen ultrastrukturelle Details sowohl auf eine intensive Lipid- als auch Proteinsekretion hindeuten. Das Haftsekret wird von hier aus über mehrere Kompartimente in eine schwammartig aufgebaute Polstercuticula gesogen, von wo aus es über die Epicuticula auf die Oberfläche verbracht wird. Die gemessenen Adhäsionskräfte waren um Größenordnungen niedriger als die Friktionskräfte. Gleichzeitig war die Friktion in Push-Richtung gegenüber der Pull- Richtung erhöht. Umgekehrte Verhältnisse fanden sich im Vordertarsus bei den Arolien (diese Befunde stehen in Übereinstimmung zu Filmanalysen des Ablösevorgangs der Tarsen). Friktionsmessungen von Tarsen, deren Oberflächensekret entfernt oder durch künstliche ölige Flüssigkeiten ersetzt worden war, ergaben, dass das halbfeste natürliche Haftsekret auf glatten und mikrorauen Oberflächen eher reibungsvermindernd wirkt. Durch die Kombination verschiedener proteinanalytischer Methoden konnten erstmals im Haftsekret von Insekten Peptide und Proteine nachgewiesen werden, wobei verschiedene Peptidund Proteinmassen exklusiv im tarsalen Haftsekret auftraten. Totengräber Nicrophorus spp.: Der Vergleich zweier eng verwandter Arten ergab, dass die tropische Art N. nepalensis auf glatten Oberflächen signifikant besser haftet als N. vespilloides. Dies wird auf Unterschiede in der Zusammensetzung des tarsalen Haftsekrets zurückgeführt, das bei N. nepalensis etwas weniger flüssig ist als bei N. vespilloides. Hierdurch können auf glatten Oberflächen vermutlich höhere Scherkräfte erzeugt werden. Bei beiden Arten sind die Reibungskräfte in Pull-Richtung höher als in Push-Richtung. In Pull-Richtung konnten zudem Rauigkeits- und Polaritätseffekte im Hinblick auf die Friktionsperformanz nachgewiesen werden. Kurzflügelkäfer Stenus spp.: Diese Käfer benutzen ihre stabförmig verlängerte Unterlippe zum Fang kleiner Beutetiere, indem diese an terminal behaarten Klebpolstern angeklebt werden. Beim Rückzug des Labiums dehnen sich die Klebpolster zusammen mit dem gelartigen Haftsekret in die Länge, was zu einer deutlichen viskosen Dissipation der Ablöseenergie und damit einer Verstärkung der Adhäsionskraft führt. Die dafür verantwortlichen strukturellen Eigenschaften der Klebpolster werden diskutiert. Durch den Vergleich mehrerer Arten war es möglich, die Haftperformanz der Klebpolster mit ihrer Morphologie und dem daraus resultierenden Fangerfolg zu korrelieren. Hierbei konnten Allometrieverhältnisse aufgeklärt werden, wobei Stenus-Arten mit kleineren Haftpolstern zwar geringere absolute Adhäsionskräfte aufweisen, dafür aber höhere Zugfestigkeiten (Haftkraft pro Klebpolsterfläche) und somit adhäsiv effizientere Haftpolster. Präparation biomimetisch inspirierter synthetischer Haftemulsionen: Um die mögliche technische Anwendbarkeit der Projektergebnisse zu evaluieren, wurden 12 heterogene synthetische Emulsionen präpariert, die dem Polar-/Unpolar-Prinzip nachempfunden waren. Dabei wurden sowohl Wasser-in-Öl- als auch Öl-in-Wasser-Emulsionen hergestellt. Je nach Zusammensetzung variierten ihre Konsistenzen von wässrig oder ölig bis hin zu halbfestgummiartig. Durch die hier praktizierte Möglichkeit der Variation von Mischungsverhältnissen spezifisch präparierter Haftemulsion ergibt sich für die Bionik und technische Anwendung die Möglichkeit, verschiedene tribologische und rheologische Eigenschaften durch Variation der eingesetzten chemischen Komponenten gezielt einzustellen. So konnten beispielsweise Emulsionen mit relativ geringen Scherspannungen bei gleichzeitig erhöhten adhäsiven Zugfestigkeiten präpariert werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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