Professioneller Zugriff auf den privaten Kindes-Raum - Bedingungen, Dynamiken, Barrieren
Final Report Abstract
(1) Ausgangsfrage des Projektes war: Wie verlaufen professionelle Triageprozesse in Fällen von (vermuteter) Kindeswohlgefährdung bei Kindern bis zu 6 Jahren? Für verschiedene Berufsgruppen, die beim Verdacht auf Kindeswohlgefährdungen eingeschaltet werden (können) und die unter je anderen Bedingungen, mit anderen Verantwortlichkeiten tätig werden, sollte abgeklärt werden, wie sie zum Urteil gelangen, dass eine bestimme Situation für das Kind gegeben sei/ein bestimmter Zustand vorliege, und dies also eine bestimmte Entscheidung verlange resp. (noch) hinnehmbar sei. Erforscht wurde, auf welche Wissensbestände die Professionen Bezug nehmen, welche Techniken zur Informationsgewinnung sie einsetzen, und wie sie die Interaktionen zu den Akteuren des privaten Raumes (Eltern, Kinder) gestalten, um bestimmte Folgemaßnahmen einzuleiten oder nicht. Das Projekt schloss an frühere Arbeiten der Forscher zu kindbezogenen Professionen an und reagierte auf öffentliche Debatten über Fälle, in denen der tragische Ausgang die Urteile hinzugezogener Professioneller, die keinen Anlass zu massiveren Interventionen gesehen hatten, diskreditierte. (2) Methodisch war das Projekt so angelegt, dass in fünf kommunalen Settings (städtisch/ländlich; belastet/mittelständisch) Material erhoben wurde. Es wurden 105 Interviews durchgeführt (davon 14 deutschlandweit), 62 mit: Sozialarbeitern/Sozialpädagogen (Jugendämter und freie Träger), 11 mit Ärzten (Kliniken und freie Praxis), 8 mit Hebammen (verschiedene Anstellungsverhältnisse); 20 mit weiteren Berufsgruppen, u.a. Psychologen, Polizei, Juristen, Erzieher. Zusätzlich wurden teilnehmen‐ de Beobachtungen bei Dienstbesprechungen, Fallkonferenzen, Netzwerkkonferenzen durchgeführt. Das Material wurde arbeitsteilig mit einer Projektgruppe der Universität Kassel (Leitung Ingo Bode) erhoben; diese Gruppe konzentrierte sich in der Auswertung auf weitere institutionelle Bedingungen von Interventionen. Aus dem Gesamtmaterial wurden 172 (geschilderte) Fälle herausgezogen und auf Basisinformationen hin ausgewertet. Davon konnten 93 Fälle detailliert rekonstruiert werden im Hinblick auf die oben genannten Untersuchungsdimensionen. (3) Die Ergebnisse zeigten überraschend klar, dass die Berufsprogramme nur beschränkt mit der Vorstellung der Triage zu fassen sind. Konkret heißt dies: Die Programme sind nicht auf Entscheidung fokussiert, vielmehr können sie gerade auf ein langfristiges, wenig strukturiertes „Dranbleiben“ abgestellt sein, wobei dann das (potentiell verfügbare) Wissen über den Zustand des Kindes beschränkt verfahrensrelevant wird. Insbesondere trifft dies zu für Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, die für Interventionen maßgeblich zuständige Berufsgruppe. Eine Typologie der „Berufsprogramme“, die in den rekonstruierten Fällen zum Einsatz kamen, wurde gebildet: Die Programme der drei Berufsgruppen Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, Hebammen und Ärzte lassen sich klar unterscheiden hinsichtlich der unter (1) genannten Dimensionen. Die daraus resultierende Relevanz des kindlichen Befindens variiert zwischen partieller und weitreichender Exklusion seiner Erfassung/Berücksichtigung. Dies ist nicht mangelhafter Ausübung der beruflichen Verpflichtungen geschuldet, vielmehr Resultat der professionellen Programme und der diesen zugrunde gelegten Wissensbestände und professionellen Verpflichtungen. Diese strukturieren Wahrnehmung und Vorgehen in einer Weise, dass psychisches und physisches Befinden des Kindes nur bedingt Bedeutung für das Vorgehen erhalten. Alberth, L. / Eisentraut, S.: Das Kind auf der Schwelle – zwischen skandalöser Familie und Unmöglichkeit seiner Rettung. In: Informationen für Einelternfamilien (2/2010): S. 1-4
Publications
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Kontingenzprobleme sozialer Interventionen. In: Berliner Journal für Soziologie (4/2010): S. 475-497
Alberth. L. / Bode, I. / Bühler-Niederberger, D.
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(2012): Kindeswohlgefährdung als Systemfrage. In: Thole, Retkowski, Schäuble (Hg.): Sorgende Arrangements. Kinderschutz zwischen Organisation und Familie. Wiesbaden, S. 39-49
Bode, I. / Eisentraut, S. / Turba, H.
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Standardisierungsprozesse am Beispiel unterschiedlicher Akteure in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Zeitschrift für Sozialreform (4/2012): S. 427- 449
Alberth, L. / Eisentraut, S.