Geschlecht, Milieu, Ethnizität: Peer-Kulturen und schulische Anforderungen in intersektionaler Perspektive (Peer-Kulturen)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Erkenntnisinteresse des Projekts lag auf einer Rekonstruktion der Passungsverhältnisse von in schulischen Peergroups geltenden kollektiven Orientierungen und schulischen Anforderungen und Erwartungen. Ausgehend von der Annahme, dass Passfähigkeit als ein zwischen LehrerInnen und SchülerInnen wechselseitig hergestelltes Produkt zu verstehen ist, wurden 24 Gruppendiskussionen mit Peergroups von Schülerinnen und Schülern sowie zehn Gruppendiskussionen mit diese unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrern durchgeführt. Für die Beantwortung der Frage nach der Kompatibilität von schulischen Anforderungen und Peerkulturen wurde eine intersektionale Perspektive zugrunde gelegt. Peergroups wurden als mehrdimensional strukturierte, nach Geschlecht, sozialem Milieu und Ethnizität differenzierte Erfahrungsräume betrachtet. Die Bedeutung dieser Dimensionen hat sich bestätigt, allerdings wurde ebenfalls sichtbar, dass die Art und Weise, wie diese Differenzkategorien bedeutsam werden, sowohl nach Schulform als auch nach der jeweiligen lokalen Schulkultur variiert. Ein zentrales Ergebnis des Projekts ist, dass zum einen die Peergroups eine vermittelnde Funktion zwischen den im Herkunftsmilieu konstituierten biographisch erworbenen Dispositionen und den schulischen Erwartungen und Anforderungen ausüben und dass dies in Abhängigkeit auch von Schulform und Schulkultur geschieht. Des Weiteren zeigt sich, dass Passfähigkeit auch als ein Effekt der Beherrschung der Techniken des impression management gesehen werden muss, dass mithin bei der Betrachtung von Passungsverhältnissen eine sozialstrukturelle und eine handlungstheoretische bzw. dramatologische Perspektive miteinander verknüpft werden müssen. Die performativen Akte, in denen Verhältnisse von Passung und Nicht-Passung lokal hergestellt werden, sind in einen strukturellen Möglichkeitsraum eingelassen, der je nach Konstellation von Geschlecht, sozialer Herkunft, Schulform und Schulkultur sowie darauf bezogenen Erwartungen unterschiedliche Formen des impression management verfügbar macht. In einer Betrachtungsweise, die auf jeweils eine der Differenzkategorien (Geschlecht, Milieu, Ethnizität) fokussiert, bestätigen sich zunächst in der Literatur zu findende Annahmen und Befunde. Trotz notwendiger, nicht nur nach Milieu und Ethnizität, sondern auch in Hinblick auf die Schulform und die lokale Schulkultur vorzunehmender Differenzierungen lässt sich festhalten, dass die Geschlechterdimension gerade bei dem Grad der Intensität (nicht) sozial kompatiblen Verhaltens in und außerhalb des Unterrichts eine entscheidende Rolle spielt. Auch wenn bestimmte weibliche Peergroups in unserem Sample nicht oder nur in geringem Maße bereit sind, den gängigen Leistungs- und Verhaltenserwartungen durch die Institution Schule nachzukommen, weisen männliche Peergroups tendenziell eine geringere Leistungs- und Verhaltenspassfähigkeit auf. Aus diesem Grund kann von einer Aufweichung der tradierten Geschlechterstrukturen, aber nicht von einem Bruch mit ihnen oder gar einem Umbruch gesprochen werden. Unsere Forschung zeigt aber auch, dass Geschlecht nicht als alleinige und losgelöste Kategorie bei der Bestimmung der Passfähigkeit von Peergroups betrachtet werden kann, sondern dass sich vor allem erst in der Verbindung und Verwobenheit mit anderen Differenzkategorien wie dem sozialen Herkunftsmilieu und der Ethnizität der Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit auf die Passfähigkeit von Peerkulturen genauer erfassen lässt. Dies gilt für männliche wie für weibliche Peerkulturen. Eine pauschale Unterscheidung nach dem Muster „brave und strebsame Mädchen“ vs. „unangepasste und faule Jungen“ greift zu kurz. Mädchengruppen aus bildungsfernen Milieus bedienen sich durchaus auch „männlich“ konnotierter Verhaltensweisen, die sich in mangelnder sozialer Passfähigkeit niederschlagen. Ethnische Markierungen werden sowohl durch SchülerInnen als auch durch LehrerInnen vorgenommen. Die Relevanz der Dimension Ethnizität zeigt sich vor allem darin, dass diese neben Geschlecht eine wichtige Kategorie für die Wahrnehmung und Deutung der Passfähigkeit von Peerkulturen darstellt. Auffällig ist, dass, wenn LehrerInnen auf die Kategorie Ethnizität rekurrieren, um SchülerInnenverhalten zu erklären, sie dies in einer vergeschlechtlichenden Weise tun, die Ethnizität zunächst einmal als ein Merkmal männlicher Schüler konstruiert. In diesem Sinne sind Ethnizität und (männliches) Geschlecht gemeinsam genutzte symbolische Ressourcen zur Deutung des Geschehens im schulischen Alltag.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2011): Geschlecht, Milieu, Ethnizität: Peer-Kulturen und schulischen Anforderungen in intersektionaler Perspektive. In: Journal Netzwerk Frauenforschung NRW, Nr. 29, Essen, S. 17-18
Hippmann, Cornelia/Aktan, Oktay
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(2012): Mehrdimensionalität der rekonstruktiven Sozialforschung im Schulkontext. In: Journal Netzwerk Frauenforschung NRW, Nr. 31, Essen, S. 57-61
Aktan, Oktay