Erinnerung, Medialität, Serialität: Subjektkonstitution an den Schnittstellen von Kultur- und Kognitionswissenschaft
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ausgehend von drei zentralen Begriffen der Literatur- und Kulturwissenschaft - Erinnerung|Gedächtnis, Medialität und Serialität - lokalisiert das Projekt Schnittstellen kultur- und kognitionswissenschaftlicher Methoden und Fragestellungen, um das wahrnehmende menschliche Subjekt als changierende Position in einer sich stetig wandelnden, komplexen Medienökologie neu zu konturieren. Dabei ist es gelungen, mittels transdisziplinärer Analysen medialer Phänomene und serieller Verfahren (die kanonisierte kulturelle Praxis erinnern, ,überschreiben' und vergessen) und genauer Betrachtungen kognitionswissenschaftlicher Ansätze (die Prozesse der Perzeption von künstlerischer Praxis, aber auch von z. B. Gesichtserkennung zu fassen suchen) das Potential und die Grenzen eines solchen Dialogs über Wechselbeziehungen von Körper und medial vermittelter Welt auszuloten. Es wurde evident, dass sowohl die Verhandlung kulturwissenschaftlicher Problemstellungen an den Berührungspunkten zur Kognitionsforschung als auch die Erweiterung kognitionswissenschaftlicher Ansätze durch die Perspektiven der Kulturwissenschaft maßgeblich im Rahmen einer Annäherung der Kultur- an die Kognitionswissenschaften und eines ,Mainstreamings'|einer Popularisierung der Neurowissenschaften stattfindet. Dieser Dialog der Disziplinen im populärwissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs lässt sich jedoch nur selten mit den - z. T. wesentlich eingeschränkteren - Einsichten der Kognitions- und Neurowissenschaften decken. Auffällig ist ferner, dass die Kognitionswissenschaften zumeist mit konventionellen Konzepten von Kunst und Medium operieren und den Formen, Effekten und Funktionen medial vermittelter Erfahrung wenig Aufmerksamkeit schenken - nicht zuletzt, weil derartige Differenzierungen die Möglichkeiten experimenteller Untersuchungsmethoden übersteigen. All dies bekräftigt die Notwendigkeit transdiszipllnären Austauschs jedoch mehr als dass diese entwertet würden - vorausgesetzt, kulturwissenschaftlichen Betrachtungen medial vermittelter Wahrnehmungsprozesse wird in diesen Dialogen die Beachtung geschenkt, die ihnen gebührt. Ein zentrales Ergebnis meiner Studie ist die umfassende Signifikanz des Schlüsselbegriffs Serialität, mit dem sich die unterschiedlichen analytischen Ebenen meines Projekts fassen lassen. Die zunehmende Relevanz des Prinzips der Serie in der kultur- und medienwissenschaftlichen Forschung markiert einen fundamentalen Perspektivwechsel, der nicht nur eine Revision der Moderne und ihrer paradigmatischen Ästhetiken, Formen und Funktionen, sondern auch eine Herausforderung für unser Denken in Epochen darstellt. Das Konzept der Serialität eignet sich aber auch dazu, Prozesse von Erinnern und Vergessen in der kulturellen Praxis und in Kognitionsprozessen zu umschreiben. Denn in beiden ,Kontexten' stellt Erinnern ein ,Überschreiben' und ,Updating' dar - sei es durch Medienwechsel (z. B. in der Romanverfilmung) oder durch Auflösen und Neubildung von Synapsen - und lässt sich somit als serielles Verfahren (vs. „storage" und „retrieval") fassen. Das Konzept der Serialität trägt folglich auch der Tatsache Rechnung, dass Erinnerung nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft im Blick hat. Erinnerung ist somit nicht die Inventarisierung vergangener Erfahrungen, sondern eine Form der Informationsverarbeitung, die dem Handeln und somit der Voraussicht dient. Ferner bildet Serialität als zentraler Operationsmechanismus der Massenmedien einen konzeptionellen Rahmen, in dem auch naturwissenschaftliche Projekte, ihre Methoden und ihre Kommunikationsstrategien zu verorten sind. Dies gilt insbesondere für die Kognitionswissenschaften, die auf eine breite, populänwissenschaftliche Rezeption ihrer Forschung zielen und in der Vermittlung auf Wiederholung, Redundanz und serielle Novität setzen. Und schließlich ist Serialität als Prinzip von Evolution|Emergenz von besonderer Relevanz für das Projekt. Ebenso wie Darwin den Artenbegriff für problematisch hielt, weil er lediglich den entwicklungsgeschichtlich kurzen Moment eines temporären, transitorischen Prozesses, einer Bewegung beleuchtet, und damit das gültige Menschenbild grundsätzlich veränderte, impliziert das Phänomen der Serie ein gewandeltes Subjektverständnis und macht das Subjekt als serielles Phänomen und Intersubjekt fassbar.