Italien und der islamische Orient zur Zeit der Kreuzzüge. Merkantile Expansion und historische Selbstdarstellung der italienischen Seestädte.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunders nahm das Interesse der italienischen Seestädten am Handel mit den islamischen Reichen im Mittelmeer deutlich zu. Sie bemühten sich schon früh darum, die Stellung ihrer Kaufleute im muslimischen Machtbereich vertraglich abzusichern und finanzielle Erleichterungen für ihre Bürger durchzusetzen. Um ihren Kaufleuten das Zugangsrecht zu bedeutenden Märkten der Levante und Nordafrikas zu verschaffen und auch nach Konflikten zu erhalten, kamen sie den muslimischen Herrschern in diesen Regionen stärker entgegen, als es der römischen Kirche, die diesen Handel am liebsten ganz unterbunden hätte, recht sein konnte. Die Kreuzzüge beeinträchtigten diesen Handel allenfalls kurzfristig und nur minimal, denn weder die Seestädte noch die muslimischen Herrscher hielten angesichts der finanziellen Bedeutung der transmediterranen christlich-muslimischen Handelsbeziehungen für beide Seiten eine längere Unterbrechung für wünschenswert. Die Regierungen der Seestädte setzten sich daher nur halbherzig für die Respektierung der päpstlichen Handelsverbote ein, die ohnehin mit den damaligen Mitteln nicht durchsetzbar waren. In "Friedenszeiten" erfolgende Übergriffe der muslimischen Herrscher und ihrer Beamten auf die Kaufleute aus den Seestädten – Besitzkonfiskationen und Geiselnahmen – ließen sich nicht verhindern; sie waren eine übrigens nicht nur in den islamischen , sondern auch in den christlichen Mitttelmeerreichen übliche Vergeltungsmaßnahme für die Schädigung der eigenen Handelsschiffahrt und der eigenen Kaufleute durch Piraten aus den Seestädten. Pogrome gegen die Kaufleute aus Genua, Pisa oder Venedig hat es, anders als in Byzanz, in den islamischen Reichen jedoch niemals gegeben. Insgesamt führte die unvergleichliche Attraktivität der Handelsplätze an den Küsten des islamischen Machtbereichs zum stetigen Ausbau des Handels mit diesen Gebieten Die oftmals längeren Aufenthalte der Kaufleute wurden durch die Respektierung ihrer kulturellen Autonomie erleichtert. Sie erhielten Räume oder Gebäude für Gottesdienste, die von Priestern aus der Heimat geleitet wurden. In den bedeutendsten Handelszentren überließ man ihnen auch eigene Friedhöfe. Über die Expansion des Handels mit den Muslimen zur Zeit der Kreuzzüge erfahren wir in den offiziösen Stadtgeschichten aus der Nachkreuzzugszeit nichts. Die spätmittelalterlichen Stadtgeschichten blendeten den Handel mit den islamischen Mittelmeerreichen vor dem Kollaps der Kreuzfahrerstaaten 1291 aus. Sie formten die offiziöse Erinnerung in den Seerepubliken bis in die Neuzeit. Auch im kollektiven Gedächtnis jener Menschen, die diese Chroniken nicht kannten und auf Belehrung durch Geistliche mittels Predigten, Erzählungen und Legenden angewiesen waren, hatten die gewaltfreie Kommunikation und Interaktion der Vorfahren mit Muslimen keinen Platz.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die italienischen Seestädte und die islamische Levante, in: Stefan Leder (Hg.), Crossroads between Latin Europe and the Near East (Istanbuler Texte und Studien 24). Würzburg 2011, S. 147-177
Favreau-Lilie Marie-Luise
- Machtstrukturen und Historiographie im Königreich Jerusalem: Die Chronik Wilhelms von Tyrus, in: Norbert Kresken, Grischa Vercamer (Hg.), Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jh. vor dem Hintergrund der Chronistik (Quellen und Studien des DHI Warschau 27). Wiesbaden: Harrassowitz, 2013
Favreau-Lilie Marie-Luise
- Strategien der mittelalterlichen Seerepubliken im Kampf gegen Seeraub: Zur Bedeutung von Diplomatie und Rechtsbildung, in: Nikolas Jaspert, Sebastian Kolditz (Hg.), Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit (Mittelmeerstudien 3), München / Paderborn: Wilhelm Fink, Ferdinand Schöningh, c. 2013
Favreau-Lilie Marie-Luise