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Eugenik, Rasse und Psychatrie im Baltikum 1900 - 1945

Antragsteller Dr. Björn Felder
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2009 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 158662141
 
Erstellungsjahr 2021

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Inhaltlich untersuchte das Projekt auf dem Gebiet der Medizin- und Ideengeschichte unter der Prämisse der Biopolitik nach Michel Foucault eugenische Diskurse und Praktiken in den baltischen Staaten der Zwischenkriegszeit. Weitere Forschungsfelder waren die biomedizinischen Disziplinen der physischen Anthropologie sowie der klinischen Psychiatrie. Analysiert wurden in erster Linie wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Diskurse zur Eugenik und Rassenforschung (physische Anthropologie), die zumeist von den biomedizinischen Eliten geführt wurden. Hier bei ließ sich ein Wissens- und Ideentransfer aus Deutschland feststellen, so dass Vorstellungen einer „protestantischen“ Eugenik, also einer solchen, die Sterilisationen und Abtreibungen befürwortet, die baltischen Debatten – auch im katholischen Litauen – dominierten. Die Diskurse, die seit etwa 1905 geführt wurden, befürworteten Modelle eine „Volkseugenik“ bzw. des „Rassestaates“, weil sie die jeweilige Nation in biologisch-genetischen Kategorien definierte, häufig auch im Kontext völkischer Nationsverständnis, und daraus nationale eugenische Handlungspraktiken ableitete. Die autoritären Regime, vor allem in Estland und Lettland nach 1934, orientierten sich stark an diesen Paradigmen von eugenisch gesunder (völkischer) Nation die rassisch definiert wurde. Deutlich wird der Einfluss durch die Implementierung eugenischer Praktiken wie (Zwangs-) Sterilisierungen und Abtreibung, sowie eugenischer Ehestandsdarlehen. Die Adaption von eugenischen Paradigmen in den baltischen Gesellschaften, speziell der medizinischen Eliten lässt sich anhand der Diskurse der Zwischenkriegszeit leicht nachweisen. Dies gilt sowohl für den Bereich der Eugenik, die in erster Linie von Psychiatern aber auch von Pflanzengenetikern und Anthropologien diskutiert wurde. Insgesamt lässt sich besonders in der autoritären Phase eine Politisierung der Wissenschaft feststellen, die man besonders gut in der physischen Anthropologie nachweisen kann. Hier wurden nicht nur Forschungsdesigns und auch grundlegende Parameter in Hinblick auf ein erwünschtes Ergebnis konstruiert, meist mit dem Ziel eine „nordische“ Rassenidentität für die eigene Nation zu schaffen. Im historischen Ausblick auf die Zeit der Beatzungen während des Zweiten Weltkrieges kann festgestellt werden, dass rassische und eugenische Paradigmen auch unter den Besatzungsregimen fortgeführt wurden – auch in der kurzen Phase der sowjetischen Annexion 1940/41. Eine Fortführung der Sterilisationspraxis kann aber nur in Lettland währen der nationalsozialistischen Besatzung nachgewiesen werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Rasovaja gigiena v Rossii. Evgenij Alkeceevič Šepilevskij (1857-1920) i zaroždenie evgeniki v Rossijskoj imperii, in: Istoriko-biologičeskie Issledovanija, No. 2, (4), 2012, S. 39-60
    Felder, Björn
  • Baltic Eugenics. Bio-Politics, Race and Nation in interwar Estonia, Latvia and Lithuania, Amsterdam 2013
    Felder, Björn/Weindling, Paul (Hg.)
  • Eugenics against State and Church. Juozas Blažys (1890-1939), Eugenics, Abortions, and Psychiatry in interwar Lithuania 1918 – 1940, in: Felder, Björn/Weindling, Paul (Hg.): Baltic Eugenics. Baltic Eugenics. Bio-Politics, Race and Nation in interwar Estonia, Latvia and Lithuania. Amsterdam 2013, 302-323
    Felder, Björn, Arūnas Germanavičius
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789401209762_010)
  • Eugenics, Sterilisation and the Racial State: the Baltic States, Russia, and the Global Eugenics Movement, in: Felder, Björn/Weindling, Paul (Hg.): Baltic Eugenics. Bio-Politics, Race and Nation in interwar Estonia, Latvia and Lithuania. Amsterdam 2013, 5-29
    Felder, Björn
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789401209762_003)
  • In Pursuit of Biological Purity: Eugenics and Racial Paradigms in Nazi-Occupied Latvia, 1941-45, in Weiss-Wendt, A. /Yeomas, R. (Hg.): Racial Science in Hitlers „New Europe“, Lincoln: Univ. of Nebraska Press, 2013, 320-346
    Felder, Björn
  • “God forgives – but nature never will” - Racial Identity, Racial Anthropology and Eugenics in Latvia 1918-1940, in: Felder, Björn/Weindling, Paul (Hg.): Baltic Eugenics. Bio-Politics, Race and Nation in interwar Estonia, Latvia and Lithuania. Amsterdam 2013, 115-146
    Felder, Björn
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789401209762_007)
  • „Euthanasia“, Human Experiments and Psychiatry in Nazi-Occupied Lithuania 1941-1944, in: Holocaust and Genocide Studies, No. 2 (27), 2013, S. 242-275
    Felder, Björn
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1093/hgs/dct025)
  • Syphilis als „Degeneration“. Die Biologisierung des russischen Gesundheitsdiskurses zwischen Sozialhygiene und Eugenik 1880–1914, in: Ortrun Riha, Marta Fischer (Hgg.): Hygiene als Leitwissenschaft. Die Neuausrichtung eines Faches im Austausch zwischen Deutschland und Russland im 19. Jahrhundert. Internationale Tagung, Leipzig, 7.–8.10.2013. Aachen: Shaker, 2014, S. 179-206
    Felder, Björn
  • Nationalsozialistische Krankenmorde in Estland, Lettland und Litauen und die baltische Eugenik der Zwischenkriegszeit 1918-1944, in: Friedmann, S. / Hudemann, R. (Hg.): Diskriminiert – vernichtet – vergessen. Behinderte in der Sowjetunion, unter nationalsozialistischer Besatzung und im Ostblock 197-1991, Stuttgart: Steiner, 2016, 321-340
    Felder, Björn
  • Rückständigkeit als selbstgewählter Sonderweg? Biomedizin, Intelligenzija und ideologisierte Wissenschaft im späten Zarenreich 1890-1917, in: Feest, David / Häfner, Lutz: Zukunft der Rückständigkeit. Festschrift für Manfred Hildermeier, Böhlau: Köln, Weimar Wien 2016, 270-287
    Felder, Björn
 
 

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