Enacting Pregnancy: Ultraschallbilder in der pränatalen Diagnostik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das explorative Forschungsprojekt "Enacting Pregnancy. Ultraschallbilder in der pränatalen Diagnostik" hat in praxeologischer Perspektive und auf der Grundlage ethnographischer Beobachtung von Routineultraschalluntersuchungen in der ärztlichen Schwangerenvorsorge und Leitfadeninterviews mit Schwangeren und Ärzt_innen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe die Praktiken der Sichtbarmachung des Ungeborenen und ihre Bedeutung für den Übergang zur Elternschaft erforscht. Die ärztliche Routineultraschalluntersuchung enthält dem Vergnügen der Schwangeren und ihrer Begleitpersonen dienende Episoden, in denen Körperumrisse durch Zeigepraktiken visuell veranschaulicht und das Ungeborene als Familienmitglied und elterliches Begehrensobjekt kommunikativ adressiert wird. Zwar bildet die Risikoorientierung der ärztlichen Schwangerenvorsorge, d.h. die Suche nach sono-anatomischen Auffälligkeiten den primären Handlungs- und Orientierungsrahmen aller Untersuchungen und die Sichtbarmachung des Ungeborenen als zeitgerecht entwickelt und anatomisch unauffällig steht im Vordergrund. Zugleich jedoch ist konstitutiv für diese medizinischen Routine-Untersuchungssituationen, dass das Ungeborene nicht nur als medizinisches Wissensobjekt sondern auch als familiales Begehrensobjekt veranschaulicht wird und ein permanenter Registerwechsel zwischen vergnüglichen und medizinischen Modi des Darstellens, Erklärens und Veranschaulichens stattfindet. Über die Situation der Ultraschalluntersuchung hinaus tragen die Ultraschallausdrucke als materiale Artefakte und Partizipanden von Schwangerschaftspraktiken dazu bei, pränatal Beziehungen und Gemeinschaften zu etablieren. Sie stellen hierfür aufgrund ihrer Visualität und ihres wissenschaftlich-technischen Entstehungskontextes eine wertvolle Ressource dar. Sie tragen zur affektiven Vergegenwärtigung der Schwangerschaft bei, ebenso werden durch das Zeigen von Bildern Gemeinschaften von an der Schwangerschaft beteiligten Menschen gestiftet und fortwährend erneuert. Durch das Einkleben von Ultraschallbildern in Fotoalben wird prospektiv familale Zugehörigkeit im Modus der visuellen Repräsentation von familialer Gemeinschaft gestiftet. Für den Übergang zur Elternschaft und der Formierung elterlicher, d.h. mütterlicher und väterlicher Subjektivität ist der Registerwechsel bzw. die Verschränkung medizinischer und nichtmedizinischer Tätigkeiten während der Ultraschalluntersuchung und die damit einhergehende Enaktierung des Ungeborenen als medizinisches Wissens- wie als elterliches Begehrensobjekt sowie die "Beteiligung" des Ultraschallartefakts an der Etablierung pränataler Beziehungen und Gemeinschaften folgenreich. Ultraschall fungiert als moralische Technologie, wenn durch die von Ärzten, Schwangeren und Begleitpersonen aktivierte Rahmung von Ultraschalluntersuchungen als vergnügliche und unterhaltsame Ereignisse, sowie durch die lebensweltliche Nutzung der Ultraschallausdrucke der faktische Zugzwang pränataler Diagnostik - der den Ausschluss "auffälliger" Entwicklung des Ungeborenen zum Ziel hat - verdeckt wird und "atypische" Elternschaft, d.h. das Eltern-werden eines Kindes mit Behinderung als etwas zu Vermeidendes gesetzt wird.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Biopolitik und Geschlecht. Zur Regulierung des Lebendigen. Forum Frauen- und Geschlechterforschung, Schriftenreihe der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der DGS, Band 35, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2012
Eva Sänger, Malaika Rödel (Hrsg.)
- Sonograms that matter. Zur Sichtbarmachung des Fötus in der Schwangerschaft, in: Elvira Scheich/Karen Wagels (Hg.): Körper Raum Transformation. Gender-Dimensionen von Natur und Materie. Dampfboot Verlag, Münster 2011, S. 123-141
Eva Sänger
- „Embodying Schwangerschaft“: pränatales Eltern-Werden im Kontext medizinischer Risikodiskurse und Geschlechternormen, in: Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Schwerpunktheft Medikalisierung und Geschlecht zwischen Optimierung, Pathologisierung und Gesundheitsförderung, Jg. 5, Nr. 1 (2013), S. 56-71
Eva Sänger, Pat Treusch, Judith Scheunemann, Annalena Dörr
- Obstetrical care as a matter of time: ultrasound screening, temporality and prevention, in: History and Philosophy of the Life Sciences; Special Issue: Temporalities of Reproduction. Practices and Concepts 1750-2103. Vol. 1/2015
Eva Sänger
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s40656-014-0056-4)