Hemisphärenunterschiede neuroplastischer Reorganisationsprozesse nach unilateraler Läsion des auditorischen Cortex
Final Report Abstract
Schädigungen des menschlichen Gehirns - etwa durch Hirntrauma, Hirnblutungen oder Tumorwachstum - führen zu einer Vielzahl von teilweise erheblichen Funktionsausfällen mit unter Umständen außerordentlich weitreichender Beeinträchtigung der Lebensbedingungen des betroffenen Patienten. Bedingt wird dies durch das weitgehende Fehlen einer Regenerationsfähigkeit von neuronalem Gewebe im zentralen Nervensystem von Säugern, weswegen für die Wiederherstellung von durch Hirnläsionen verlorengegangenen Funktionen nahezu ausschließlich neuroplastische Kompensationsvorgänge in Frage kommen, bei denen ungeschädigte Hirnregionen die Funktionen der ausgefallenen Hirnregion bis zu einem gewissen Grade übernehmen. Im vorliegenden Projekt untersuchten wird solche kompensatorischen Reorganisationsprozesse im auditorischen Cortex (AC). Als Modell wurde das Diskriminationslernen schneller amplitudenmodulierter Reintöne (AM) in der mongolischen Wüstenrennmaus gewählt, da aus früheren Untersuchungen bekannt war, dass diese Funktion kritisch vom Vorhandensein des AC abhängt, da die Tiere nach bilateraler Läsion des AC nicht mehr zu dieser Diskriminationsleistung in der Lage waren. Überraschenderweise zeigten unsere Experimente, dass dieses Diskriminationsvermögen auch nach bilateraler Läsion der beiden AC-Hemisphären erhalten bleibt, wenn diese Läsionen nicht gleichzeitig sondern im Abstand von 4 Wochen mit dazwischenliegendem fortlaufenden Diskriminationstraining vorgenommen werden. Offenbar löst die Läsion des ersten AC kompensatorische Neuroplastizität jenseits des kontralateralen AC aus, die andere Hirnregionen in die Lage versetzt, nach späterer Schädigung des zweiten AC dessen Funktion – zumindest bezogen auf die AM-Diskriminationsleistung – nahezu vollständig zu ersetzen. Da derartige Mechanismen bei gleichzeitiger Läsion beider ACs nicht beobachtet werden konnten (es gibt in diesem Fall kein „re-learning“), muss dieser kompensatorische Prozess zwingend vom Vorhandensein zumindest einer intakten AC-Hemisphäre abhängen. Im weiteren Verlauf des Projekts untersuchten wir daher mögliche neuroplastische Veränderungen, welche sich nach der Läsion eines AC bei fortlaufendem Training im kontralateralen AC abspielen. Dazu wurde den Versuchstieren bereits vor der Läsion ein 4x4 Elektrodenarray chronisch in den der Läsionsseite kontralateralen AC implantiert. Es zeigten sich eine Reihe von Veränderungen der spektralen Abstimmeigenschaften der Neurone, die sich allerdings nur im Wachzustand und nicht unter Narkose nachweisen ließen. Aus den dargestellten Befunden ergeben sich möglicherweise neue Behandlungsstrategien für Patienten, die dazu dienen könnten, dass Patienten nach einseitigem Verlust des Hörcortex nicht kortikal taub werden, wenn sie später auch den kontralateralen Hörcortex verlieren – etwa durch eine zweite Hirnblutung. Hierzu könnten geeignete, prophylaktische Trainingsparadigmen entwickelt werden, die sich möglicherweise auch auf andere Modalitäten übertragen ließen.
Publications
- (2012) Simultaneous but not sequential bilateral lesion of gerbil auditory cortex does not extinguish pre-learned discrimination performance of fast amplitude modulated tones. Assoc. Res. Otolaryngol. Abs., p. 163
Depner, M.; Schulze H.
- (2013) Simultaneous but not sequential bilateral lesion of gerbil auditory cortex does extinguish pre-learned discrimination performance of fast amplitude modulated tones. Abstract, 10th Göttingen Meeting of the German Neuroscience Society, T18-3C, p. 152
Depner, M.; Tziridis, K.; Schulze H.
- (2013) The impact of sequential bilateral auditory cortex lesions on discrimination performance of fast amplitude modulations in Mongolian gerbils – An update. Abstract, 84th Meeting of the German Society of Oto-Rhino-Laryngology, Head and Neck Surgery, p. 143
Depner, M.; Tziridis, K.; Schulze H.