Das Erbrecht in Babylonien und Assyrien nach keilschriftlichen Quellen des 3. und 2. Jahrtausends v.Chr.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Für die Untersuchung des Erbrechts in Babylonien und Assyrien nach keilschriftlichen Quellen des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. wurde der Begriff "Erbrecht" in seiner Bedeutung weiter gefasst als gemäß seiner modernen Verwendungsweise: Verstanden wurde darunter nicht nur die Vermögensübertragung im Todesfall, sondern allgemein die generationenübergreifende Weitergabe von Familienvermögen. Eine solche Definition ermöglicht, neben der Untersuchung des über die männliche Linie vererbten Vermögens auch das über nicht-erbberechtigte Frauen in Form von Mitgiften und Schenkungen weitergegebene Familienvermögen einzubeziehen und auf diese Weise das gesamte Familienvermögen in den Blick zu nehmen. Wichtigste Quelle sind dafür die Rechtsurkunden, vor allem Erbteilungsurkunden, aber auch Urkunden bezüglich Kauf, Tausch, Schenkung, Heirat und Adoption sowie Prozessurkunden. Sie sind ein Spiegel des angewandten Gewohnheitsrechts. Mit ihrer Hilfe lässt sich daher der erbrechtliche Regelfall rekonstruieren. Rechtssammlungen nehmen hingegen auf erbrechtliche Sonderfälle Bezug und spezifizieren das Gewohnheitsrecht. Durch sorgfältige philologische Aufarbeitung der Quellen, Berücksichtigung der Prosopografie und Betrachtung der Urkunden in Archivzusammenhängen gelang es, den Hintergrund einiger Erbteilungen zu erhellen, einzelne Phänomene besser zu fassen, Vermögensübertragungen über mehr als zwei Generationen hinweg zu dokumentieren und Strategien in der Weitergabe von Familienvermögen aufzuzeigen. Untersucht wurden im Einzelnen: die sumerische und akkadische erbrechtliche Terminologie mit erstmaliger Beschreibung von Termini für den gesamten Nachlass, der Inhalt und Umfang von Nachlässen, die Fragen, wer Erblasser und wer Erbe sein kann, mit kritischer Hinterfragung der Existenz eines Brudererbrechts, die verschiedenen Aspekte der Erbteilung, weitere Anteilsberechtigte am Familienvermögen, vor allem Töchter und Ehefrauen, Strategien zum Zusammenhalt von Familienvermögen, um Erbteile nicht zu klein werden zu lassen, das Verhältnis von Erbrecht und Adoption sowie zusammenfassend die charakteristischen Merkmale des altbabylonischen Erbrechts vor dem Hintergrund der mesopotamischen Rechtsgeschichte des 3. und 2. Jt.s v. Chr. Die erzielten Ergebnisse sind von Bedeutung für zukünftige Forschungen zur mesopotamischen Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, insbesondere für Forschungen zu den Themen Adoption, Familie und Familienvermögen. Die notwendige, sorgfältige Aufarbeitung der Quellen, die Betrachtung der Urkunden in Archivzusammenhängen sowie die z.T. mangelhafte Qualität einiger bereits vorliegender Studien zu erbrechtsrelevanten Themen führten dazu, dass der ursprünglich anvisierte Zeitplan nicht eingehalten werden konnte. In Absprache mit den Kooperationspartnern wurde deshalb die Themenstellung bezüglich des zeitlichen und geografischen Rahmens eingegrenzt und ein Schwerpunkt auf Babylonien und die altbabylonische Zeit gelegt. Diese Eingrenzung erlaubte es, alle in den Quellen greifbaren Aspekte des altbabylonischen Erbrechts eingehend zu untersuchen und dadurch eine große inhaltliche Breite zu erzielen. Die erbrechtlichen Regelungen der übrigen Perioden des 3. und 2. Jt.s werden aber nicht völlig ausgeblendet, sondern kommen in einem abschließenden Kapitel zur Sprache, das sich um die historische Einordnung des altbabylonischen Erbrechts bemüht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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"Erbrecht nach altbabylonischen Kauf- und Tauschurkunden aus Nippur", Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte Vol. 20 (2014), pp. 11-32
W. Meinhold
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"Das Vermögen der Familie des Mannum-mēšu-liṣṣur", Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie Band 105, Heft 1, S. 7–29 (2015)
W. Meinhold