Obst auf das Land - Landesentwicklung durch adminstrativen Gartenkulturtransfer im 19. Jahrhundert im Königreich Hannover
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Projekt 'Amtshausgärten' wurde das Gartenwesen an den Verwaltungssitzen im Kurfürstentum bzw. Königreich Hannover im 18. und 19. Jahrhundert erforscht. Lage, Funktion und Größe typischer Amtshausgärten wurden ermittelt und die Verpflichtungen und Handlungsspielräume der Beamten, die diese Gärten bewirtschafteten und gestalteten, benannt. Aus dem System des Einsatzes der Beamten und der Verpachtung der Amtshöfe ergab sich, dass diese Gartenkomplexe in ihrer Ausformung und Gestaltung eine Mittelstellung zwischen Gutsgärten des Adels und Bauerngärten einnahmen. Der Ziergartenanteil der Gärten war relativ klein bzw. nur bei einigen Anlagen, die von sehr garteninteressierten Amtsmännern betreut wurden, bedeutend. Umfangreich war dagegen der Nutzgartenanteil und vor allem der Anteil an Obstgärten bzw. Obstbäumen in den Gärten. Das ergab sich durch Verpflichtungen in der Pacht, die einen nachhaltigen Bestand an Obstgehölzen an allen Verwaltungssitzen bewirkten. Die Förderung des Obstbaus ging aber weit über die Amtshöfe hinaus. Ausgehend von der Landesbaumschule, der sog. Plantage, in Hannover-Herrenhauses wurde ein landesweites System der Obstbauförderung betrieben. Dies war zunächst sehr zentralistische und paternalistisch organisiert: Ab 1775 wurden in Herrenhausen gezogene Obstbäume direkt an die Untertanen verschenkt, um in den Privatgärten der Landleute angepflanzt zu werden. Dabei halfen extra angereiste Hofgärtner aus der Plantage. Die regionalen Verwaltungsbeamten (Amtmänner, Amtsvögte) ermittelten den Bedarf der einzelnen Gartenbesitzer und reichten Listen mit der vorgeschlagenen Zuteilung der Obstbäume bei der Kammer ein. Dabei konzentrierte man den Hauptanteil der jährlich zur Verfügung stehenden Obstbäume auf wenige Ämter, in denen so innerhalb kurzer Zeit der gesamte Bedarf an Obstbäumen gedeckt werden konnte. Dieses Verteilsystem wurde über sechs Jahrzehnte betrieben. Mit der Vergrößerung des Staates nach 1815, den damit zusammenhängenden größeren Entfernungen und einem sich wandelnden Staatsverständnis wurde das Fördersystem im 19. Jahrhundert geändert. Man versuchte eine Dezentralisierung, indem nun nicht mehr die Verteilung von Obstbäumen, sondern die Einrichtung von regionalen Baumschulen im Vordergrund stand. Im 19. Jahrhundert gab es verschiedene Veränderungen in der Struktur des ländlichen Raumes, die genutzt wurden, um Flächen für die Anlage von Baumschulen und die Pflanzung von Obstbäumen bereitzustellen. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die Gemeinheitsteilung bzw. Verkoppelungen sowie den Chaussee- und Wegebau. Hier ist die Obstförderung unmittelbar in diese Reform- oder Modernisierungsprozesse eingebunden. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Verfügbarkeit von Land der entscheidende begrenzende Faktor für die Obstförderung darstellt. Wenn Obstanbau für Private interessant ist, betreiben sie ihn im 19. Jahrhundert weitgehend ohne Förderung. Die Wirksamkeit der Obstbauförderung im Königreich Hannover beruht v.a. auf der großen Kontinuität, denn das Thema wurde immer wieder als eine Verwaltungsaufgabe in Erinnerung gebracht. Dementsprechend eignete sich ein obstbauliches Engagement für die Verwaltungsbeamten auch stets zur Profilierung. Zudem half die Subventionierung von Projekten, d.h. eine entsprechende Überwindung von Hindernissen funktionierte tatsächlich. Erfolge sind vor allem in den südöstlichen Landesteilen zu deutlich zu erkennen. In vielen Fällen wurde allerdings keine Nachhaltigkeit erreicht, da Aspekte der Pflege konzeptionell (wie auch in den Anweisungen der Verwaltung) zu wenig oder unkonkret berücksichtigt werden. Nachhaltige positive Einflüsse auf die strategischen Ziele wurden jedoch im Zusammenwirken mit den Strategien lokaler Akteure erreicht. Was sich zugleich im 19. Jahrhundert grundsätzlich durch die Entwicklung in der Pomologie verändert, ist die Handhabung des Obstbaus. So steht am Anfang des Betrachtungszeitraums als die obstbauliche Praxis prägende Person der aus der Tradition geschulte Bauer und am Ende der pomologisch gesinnte, fachlich geschulte Obstwirt. Zu diesem Wandel trägt die staatliche Obstförderung durch Schriften, Förderung von Vereinen und Prämien entscheidend bei.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
Die 'Plantage' in Hannover-Herrenhausen - Neue Pflanzen für das Land. In: Butenschön, Sylvia (Hg.): Garten - Kultur - Geschichte, Gartenhistorisches Forschungskolloquium 2010 (Sonderpublikation des Instituts für Stadt- und Regionalplanung, Technische Universität Berlin), Berlin 2011, S. 93-97
Palm, Heike
-
Die landesherrliche Plantage in Herrenhausen. Ein Instrument zur Förderung des Obstbaus und der Gartenkultur im Kurfürstentum Hannover. In: Sylvia Butenschön (Hrsg.) Frühe Baumschulen in Deutshcland. Berlin 2012, S. 69-110
Palm, Heike
-
Frühe Baumschulen in Deutschland - Zum Nutzen zur Zierde und zum Besten des Landes (Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung, Technische Universität Berlin, 76). Universitätsverlag der TU Berlin : Berlin 2012
Butenschön, Sylvia (Hg.)
-
Die Gärten der Amtshäuser. Förderung der Gartenkultur im 18. Jahrhundert am Beispiel der Gärten der Amtshäuser im Kurfürstentum Hannover. In: Jakubowski-Tiessen, Manfred (Hg.): Von Amtsgärten und Vogelkojen. Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium 2011–2012. Göttingen 2014,S. 27–48
Beck, Jens
-
Gestaltung der Amtshausgärten im Kurfürstentum/Königreich Hannover. In: Sylvia Butenschön (Hrsg.), Landesentwicklung durch Gartenkultur. Berlin 2014. S. 245–271
Beck, Jens
-
Landesentwicklung durch Gartenkultur. Gartenkunst und Gartenbau als Themen der Aufklärung. (Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung, Technische Universität Berlin, 78). Universitätsverlag der TU Berlin : Berlin 2014
Butenschön, Sylvia (Hg.)
-
Verwaltungssitze im Kurfürstentum/Königreich Hannover und ihre Ausstattung mit Gärten. In: Sylvia Butenschön (Hrsg.), Landesentwicklung durch Gartenkultur. Berlin 2014, S. 217–244
Palm, Heike
-
Amtshausgärten. Ländliche Gartenkultur an den Verwaltungssitzen im Kurfürstentum / Königreich Hannover. (Sonderpublikation des Instituts für Stadt und Regionalplanung, Technische Universität Berlin) Universitätsverlag der TU Berlin : Berlin 2016
Beck, Jens; Butenschön, Sylvia; Palm, Heike
-
Strategien, Akteure und Effekte staatlicher Obstbauförderung im Königreich Hannover. In: Dauser, Regina; Fassl, Peter; Schilling, Lothar (Hg.): Wissenszirkulation auf dem Land (Documenta Augustana; 26). Augsburg 2016
Butenschön, Sylvia