Die Bauplastik des 13. Jahrhunderts in Santiago de Compostela
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ausgehend vom Pórtico de la Gloria in der Kathedrale von Santiago de Compostela wurde die Rezeptionsgeschichte der Werkstatt von Meister Matthäus im 13. Jahrhundert untersucht. Im Mittelpunkt standen die Annexbauten der Kathedrale und die Sakralräume der Bischofsstadt. Zur Erfassung der Werkstattzusammenhänge galt es zunächst den Bestand projektrelevanter Werke zu ermitteln, da neben der in situ erhaltenen Bauplastik des Bischofspalastes, der Corticela-Kirche und des ehem. Stiftes Sta. María del Sar ein Großteil der mittelalterlichen Fragmente der Westfassade, des Lettners, des Kreuzgangs und der Chorerweiterung bei Grabungen gefunden wurden und heute in den Depots von Kathedralmuseum und Pilgermuseum lagern. Diese erstmalig eng an den Werken orientierte Grundlagenforschung zog zur Klärung von Provenienzfragen intensive Archivrecherchen nach sich, die neue Lokalisierungen erlaubten. Durch die besseren Vergleichsmöglichkeiten konnte belegt werden, dass die analysierten Werke sich bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts in untertschiedlichem Maße am Pórtico de la Gloria orientieren, dieser Einfluss aber bereits mit der 1258 begonnenen Chorerweiterung gänzlich verblasste. Die Bezüge zwischen den oberen Westbaubereichen und dem Eingangsbereich des Bischofspalastes weisen auf eine, in der Forschungsliteratur bisher nicht erkannte Erweiterung des Palastes ab dem frühen 13. Jahrhundert hin. Sukzessive wurde mit dem Ausbau bis in die ersten Amtsjahre des Erzbischofs Juan Arias (1238-1267) fortgefahren. In diesem Zeitraum fanden auch die Umbaumaßnahmen an der Corticela-Kirche und der Bau des Kreuzgangs statt, an denen mehrere Werkstätten beteiligt waren. Die parallel zu den stilistischen und ikonographischen Forschungen durchgeführte Analyse von Quellen und Urkundeneditionen erlaubte es, die An- und Umbauten in ihren historischen Kontext einzubetten. Gefördert durch König Alfons IX. von León (1188-1230) war Santiago de Compostela zum spirituellen Zentrum des Königreichs avanciert, was sich auch in der Errichtung der königlichen Grablege manifestiert. Unter seinem Nachfolger König Ferdinand III. (1217/1230-1252) konnte das Erzbistum Santiago seine privilegierte Stellung im wiedervereinigten Königreich Kastilien-León nicht halten. Das Erzbistum Toledo erstarkte, und in den Kathedralbauten von Burgos und León lässt sich die Konkurrenz zu Santiago deutlich ablesen. Den bahnbrechenden Neuerung in Architektur und Skulptur wollte Erzbischof Juan Arias in der Jahrhundertmitte offensichtlich nicht mit einem Festhalten an traditionellen Formen begegnen, sondern mit einer innovativen, aber in den 1270er Jahren unvollendet gebliebenen Choranlage ein Zeichen entgegensetzen und den Primatsanspruch der Jakobuskirche untermauern. Die Untersuchung der Ausstrahlung der Matthäus-Werkstatt und ihrer Nachfolge außerhalb Santiagos war ein weiteres Teilgebiet des Projektes. An galicischen Vergleichsbeispielen wie den Westanlagen der Kathedralen von Tui und Ourense, aber auch der Ordenskirchen S. Juan de Portomarín und S. Lorenzo de Carboeiro wurden die unterschiedlichen Rezeptionsprozesse analysiert. Während im galicischen Umland die Verbindungen noch klar erkennbare Spuren hinterlassen haben, konnte für die übrige Iberische Halbinsel kaum eine Nachfolge belegt werden. Zu den wichtigsten Empfängern gehören die Suffraganbistümer Salamanca und Ciudad Rodrigo. Eine direkte Filiation in europäischen Werken ließ sich ebenfalls nicht nachweisen, obwohl in konzeptionellen und künstlerischen Bezügen zu großen Figurenportalen des 13. Jahrhunderts durchaus eine Verbindung zum Pórtico de la Gloria besteht und im Rahmen der Untersuchung auch die Diskussion um die Kunstströmungen dieser Epoche bereichert werden konnte.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Die Skulptur der zweiten Baukampagne in Santo Domingo de Silos als Wegbereiter der scholastischen Mariologie in der mittelalterlichen Kunst der Iberischen Halbinsel“, Mittelalterliche Bauskulptur in Frankreich und Spanien: Im Spannungsfeld des Chartreser Königsportals und des Pórtico de la Gloria in Santiago de Compostela, hrsg. von Claudia Rückert und Jochen Staebel, Ars Iberica et Americana, Bd. 13, Frankfurt/M. 2010, S. 215-225
Wunderwald, Anke
- „Una subestructura temprana con ropajes nuevos. La cripta occidental y su relación con el cuerpo occidental de la cathedral de Santiago de Compostela“, Semata 22 (2010), S. 369-390
Wunderwald, Anke; Münchmeyer, Annette
- „Der Pórtico de la Gloria der Kathedrale von Santiago de Compostela: Studien und Polychromie“, Polychrome Steinskulptur des 13. Jahrhunderts, Beiträge zur Tagung des Naumburg Kollegs vom 13. bis 15. Oktober 2011 in Naumburg/Saale, hrsg. von Thomas Danzl, Christoph Herm und Annemarie Huhn, Görlitz 2012, S. 41-51
Wunderwald, Anke; Laborde Marqueze, Ana