Jüdische Gemeindebauten seit 1945: kritischer Vergleich und Einordnung in die Geschichte der Architektur in Deutschland und international.
Final Report Abstract
Mit dem dreijährigen Forschungsprojekt konnte die Geschichte der jüdischen Gemeindeeinrichtungen (Synagogen, Betsäle, Gemeindezentren, Friedhofsbauten und andere), die seit 1945 in Deutschland entstanden sind, erstmals in großem Umfang erfasst und analysiert werden. Anhand der Dokumentation sowohl der Bauwerke selbst als auch ihrer Planungs- und Baugeschichte lassen sich typologisch-stilistische Wandlungen in der Architektur der jüdischen Bauten nachvollziehen. Zeitgenössische Texte – Beschreibungen der Architekten, Einweihungsansprachen und Beiträge von Vertretern der Gemeinden, der Politik und anderer Institutionen, Presseberichte und architekturkritische Artikel – geben Auskunft über die sich wandelnden Intentionen und die Rezeption der Bauprojekte jüdischer Gemeinden: Bis in die Gegenwart finden sie größtes öffentliches Interesse und wecken die Neugier von Bürgerinnen und Bürgern. Die Untersuchung belegt, dass sich die Entwicklung der jüdischen Gemeindeeinrichtungen im betrachteten Zeitraum analog der Geschichte der jüdischen Gemeinden in vier "Phasen" einteilen lässt. Die "Phase der Provisorien" zwischen 1945 und ungefähr 1950 ist geprägt vom Versuch der Überlebenden des Holocaust, zumeist so genannte Displaced Persons, ein provisorisches jüdisches Leben bis zur Emigration in andere Staaten aufzubauen. Die zahlreichen religiösen Einrichtungen dieser Zeit haben nur selten Spuren hinterlassen, dennoch sind hier auch die Anfänge der sich dauerhaft etablierenden Gemeinden zu suchen. In der "Phase der Konsolidierung" (ca. 1950-65) entstanden in der Bundesrepublik zahlreiche Neubauten, die den politischen Anspruch, jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich werden zu lassen und den Versuch eine materielle "Wiedergutmachung" zu leisten, widerspiegeln. Architektonisch zeigen die Bauten oft ein Anknüpfen an die Architektur der Moderne der späten Weimarer Republik, als Synagogen im Stil des "Neuen Bauens" errichtet wurden. Die Neubauten stehen zugleich im Kontext der zeitgenössischen Kirchenarchitektur sowie des internationalen Synagogenbaus, der mit dem in den USA weiter entwickelten Typus des "Community Center" eine neue Prägung erhielt. Auch in der DDR kam es zu Beginn der 50er Jahre zu Neubauten, jedoch brach hier die Entwicklung um 1960 ab. Zwischen 1965 und 1990 geriet die Bautätigkeit der jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik in eine "Phase der Stagnation", die wenigen Beispiele dieser Jahrzehnte vollziehen den Übergang von der "späten Moderne" zur "Postmoderne" mit. Seit 1990 hält bis in die Gegenwart eine "Phase neuer Anfänge" an, jüdische Einwanderer aus den Staaten des früheren Warschauer Pakts vergrößern die Gemeinden und geben ihnen ein neues Gesicht. Zum Teil spektakuläre Neubauten signalisieren die Rückkehr jüdischen Lebens ins Bild der deutschen Städte. Von hohem gestalterischen und symbolischen Anspruch, sind gerade diese Synagogen Beispiele der gegenwärtigen Entwicklung der Sakralarchitektur, die mit der Diskussion um Abrisse und Umnutzungen vieler Kirchen und um den Neubau von Moscheen einen grundlegenden Wandel durchmacht. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts erlauben es, die Geschichte der jüdischen Bauwerke in die Wandlungen der Sakralarchitektur allgemein einzubetten. Sie geben Gelegenheit, die zukünftige Entwicklung der Synagogen und jüdischen Gemeindezentren vor dem Hintergrund ihrer jüngeren Vergangenheit zu diskutieren und ihre "Funktion" als symbolische Architekturen für das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland als historisch sich wandelndes zu begreifen.
Publications
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Aktuelle Synagogenarchitektur in Deutschland. In: Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum 91 (2008), H. 1, S. 2-6
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Die Architekturgeschichte jüdischer Gemeindeeinrichtungen in Deutschland seit 1945 ¿ ein Forschungsprojekt. In: bet-tfila.org/info 2/06 (2006), S. 3-4.
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Jewish cemeteries in 19th-century Germany between "tradition" and "assimilation": a paradigmatic development for central Europe? In: Siauciunaite-Verbickiene, Jurgita, und Larisa Lempertiene (Hg.): Jewish Space in Central and Eastern Europe: Day-to-Day History. Cambridge, Vilnius 2008, S. 75-92
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Jüdische Friedhöfe und ihre Bauwerke in der Zeit des Nationalsozialismus: ein Überblick. In: Fischer, Hubertus, und Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.): Gärten und Parks im Leben der jüdischen Bevölkerung. München 2008 (= CGL-Studies 5), S. 175-198
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München, Stadtmuseum, Tagung der Arbeitsgemeinschaft jüdische Sammlungen (September 2007): Projekte der Bet Tfila ¿ Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa: Jüdische Gemeindeeinrichtungen in Deutschland seit 1945
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Neue Synagogen in Deutschland seit 1945. In: Cohen-Mushlin, Aliza, und Harmen Thies (Hg.): Synagogenarchitektur in Deutschland. Petersberg 2008, S. 97-108
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Spiegel einer ambivalenten Geschichte. Die Architektur der Synagogen in Deutschland. In: Jüdische Zeitung 11 (November 2008), S. 21
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Synagogen im Mittelalter und in der Neuzeit. Ein Überblick zu Wandlungen und Kontinuität eines Typus der mitteleuropäischen Sakralarchitektur. In: Frankenland. Zeitschrift für fränkische Landeskunde und Kulturpflege 60 (2008), S. 189-198.
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Wilhelm Zeev Haller als Architekt jüdischer Gemeinden. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 16 (2006), S. 129-176
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Zur Rekonstruktion der Gestalt und Baugeschichte der Synagoge Heidereutergasse. In: Simon, Hermann, und Harmen Thies (Hg.): "Und ich wurde ihnen zu einem kleinen Heiligtum in den Ländern, in die sie gekommen sind. Geschichte der Alten Synagoge zu Berlin von Moritz Stern. Berlin 2007, S. 261-277.