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Die slowakische Nationalbewegung und der Antisemitismus im europäischen Kontext (1880-1922). Eine Studie zur antisemitischen Semantik und Praxis in Ostmitteleuropa am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts

Antragsteller Miloslav Szabó, Ph.D.
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2010 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 179223461
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt stellt einen Beitrag zur Geschichte der bisher unzureichend erforschten Zusammenhänge zwischen dem modernen Antisemitismus und den Nationalismen in Ostmitteleuropa dar. Am Beispiel der slowakischen Nationalbewegung wurden Verflechtungen zwischen der antisemitischen Semantik und Praxis und der nationalistischen Ideologie in unterschiedlichen historischen Kontexten der Habsburgermonmarchie beziehungsweise derer Nachfolgestaaten untersucht. Am Anfang stand die These, die Ideologie der slowakischen Nationalbewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde von der Semantik des „nationalen Antisemitismus" (Klaus Holz) mit strukturiert. Diese unterstellte „den Juden" nicht nur Feindschaft und sozioökonomische Unterdrückung einzelner Völker und Nationen, sondern eine antinationale „Nicht-Identität", die die Sinnwelt der verschiedenen Nationalismen zu zerstören drohte. In einem zweiten Schritt fragte das Forschungsprojekt nach dem Stellenwert der antisemitischen Praxis für die Aktivierung des slowakischen Nationalismus um 1900. Dabei tendierte die sich emanzipatorisch gebärdende antisemitische Praxis im Sinne des sozioökonomischen Boykotts der jüdischen Bevölkerung die offen antiemanzipatorische Semantik des „nationalen Antisemitismus" zu verdrängen. Diese Tendenz wurde im Laufe der Arbeiten mit dem Begriff populistischer Antisemitismus erfasst, der eine Modifizierung des antisemitischen Autostereotyps (von der Nation/„Rasse" zum „Volk") impliziert. Die Erforschung der transnationalen Bezüge der slowakischen Judenfeindschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte, dass Verfechter des populistischen Antisemitismus im Kontext der slowakischen Nationalbewegung an die „europäische Öffenlichkeit" appellieren konnten, indem sie die semantische Konkurrenz jüdischer und nichtjüdischer Opfernarrative beschworen. Der Erste Weltkrieg beziehungsweise die unmittelbare Nachkriegszeit bildeten in der Geschichte des slowakischen Antisemitismus zwar eine Zäsur, die jedoch wichtige Tendenzen beschleunigte. Bereits in der Schlussphase des Kriegs verbreiteten sich in der slowakischen Bevölkerung antijüdische Stimmungen, die auch in den ersten Jahren der Tschechoslowakischen Republik anhielten. So konnten die nunmehr zu Machtträgern aufgestiegenen slowakischen Nationalisten ihr Vorkriegsprogramm des populistischen Antisemitismus wiederaufgreifen. Mit staatlichen Mitteln wie der Lizenzvergabe strebten die neuen Machthaber nun eine Lösung der „Judenfrage in der Slowakei" an, die sie vor 1918 mit den Mitteln des sozioökonomischen Boykotts hatten verwirklichen wollen. Gleichzeitig bildete der populistische Antisemitismus einen wichtigen Faktor der „politischen Sozialisierung" der slowakischen Bevölkerung seitens der sich etablierenden slowakischen Parteien. Dass die Semantik des „nationalen Antisemitismus" dennoch nie vollständig verdrängt werden konnte, zeigten die Kampagnen gegen den „Judeobolschewismus" vom Sommer und Herbst 1920. Sie überschatteten allmählich die Forderungen nach einer quasi demokratischen Lösung der „Judenfrage". Obwohl der offene Antisemitismus in den 1920er Jahren in den Hintergrund getreten war, blieb er in der slowakischen Politik weiterhin wirksam. Dies bestätigte die Entwicklung in den späten 1930er und in den 1940er Jahren, als im Umfeld der „Slowakischen Volkspartei" sowohl populistisch-antisemitische Forderungen nach einer neuen Lösung der „Judenfrage" als auch nationalantisemitische Kampagnen gegen den „Judeobolschewismus" laut wurden. Die Propagandisten des neuen Regimes zwischen 1939 und 1945 bedienten sich beider Tendenzen, um die Entrechtung und Aussiedlung der jüdischen Bevölkerung nach NS-Deutschland zu rechtfertigen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Vertraute Feindbilder. Die transnationalen Bezüge des slowakischen Antisemitismus um 1900, in: Bohemia, Jg. 51 (2011), H. 2. S. 358-388
    Miloslav Szabó
  • „Židovská otázka" na Stovensku v prvých rokoch Československej republiky [Die „Judenfrage" in der Slowakei in den ersten Jahren der Tschechoslowakischen Republik], in: Stred/Centre (Prag), Jg. 3 (2011), H. 2, S. 59-81
    Miloslav Szabó
  • "Because words are not deeds." Antisemitic Practice and Nationality Policies in Upper Hungary around 1900, in: Quest. Issues in Contemporary Jewish History. Journal of Fondazione ODBC, Nr. 3, Juli 2012
    Miloslav Szabó
  • Obvinenia z „rituálnych vrazd" v Hornom Uhorsku. Antisemitská propaganda, politický katolicizmus a národnostná otázka na prelome 19. a 20. storočia [„Ritualmord"- Beschuldigungen in Oberungarn. Antisemitische Propaganda, politischer Katholizismus und Nationalitätenkonflikt um 1900], in: Historický časopis [Historische Zeitschrift, Bratislava], Jg. 60 (2012), H. 4
    Miloslav Szabó
 
 

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