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Soziale Geburt der "Westkunst". Netzwerke bildender Kunst in Westdeutschland 1945-1964

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2010 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 179343942
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersuchte die „soziale Geburt der ,Westkunst'" mit dem Ziel, die Entwicklung der bildenden Kunst in Westdeutschland nach 1945 unter den methodischen Gesichtspunkten einer institutionenanalytisch informierten, thematisch an der documenta ansetzenden Netzwerkanalyse zu rekonstruieren. Die beziehungsanalytisch untersuchten konstituierenden Prozesse der Trägerorganisationen der documenta zeigen, wie der informell entstandene Personenkreis teils bereits seit den 1920er Jahren in der Kasseler Kunstakademie kooperierte. Statt alleine die inzwischen mythisierte Gründungsfigur Arnold Bode in den Mittelpunkt zu stellen, wurde das von ihm geschaffene und entscheidend beeinflusste personale Netz ebenso einbezogen wie Teile der weiteren Zivilgesellschaft, deren Mitwirkung in der documenta-Forschung bisher kaum betrachtet worden ist. Dabei konnte gezeigt werden, in welchem Maße die Wahrnehmung künstlerischer Werke und ihrer Autoren von Selektionsprozessen mitbedingt sind, die auf Vernetzungen unterschiedlichster Art beruhen. Dabei ist insbesondere das Verhältnis zu Leihgebern und durch diese wiederum zu Künstlerinnen und Künstlern von entscheidender Bedeutung. Eindeutig entstehen so kunstinterne Werthierarchien, die sich durchaus in monetären Wertdifferenzen übersetzen lassen. Aus diesem Grund dienten die Analysen auch dazu, die Wirkungen von Ausstellungen als Knotenpunkt sich überlagernder, nur mehrdimensional zu erfassender Beziehungen zwischen Künstlern, Mitgliedern von Trägerkreisen, Organisatoren in Ausstellungskomitees, Leihgebern, Jurymitgliedern, Publizisten sowie anderen Personen der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Aufgrund der Forschungen in diesem Projekt war es möglich, historisch gewachsene Einflüsse und Strukturen in der Kunstwelt zu identifizieren, auch solche, die durch den Nationalsozialismus politisch oft eingeschränkt oder sogar unterbrochen waren, nach 1945 jedoch wieder aufgegriften wurden. Auch wurden Traditionen deutlich, an die nicht wieder angeknüpft werden konnte. So ergab sich ein Bild, das weder nur Kontinuitäten zeigt, noch auch alleine den Bruch im Jahre 1945, der ohnehin zu bezweifelnden „Stunde Null". Auch konnte nachgewiesen werden, dass das documenta-Netzwerk sowohl in der lokalen wie auch in der überlokalen Kunstwelt stärker verankert war, als es zunächst den Anschein hatte. Gerade die noch nicht wieder gefestigten, gleichwohl aber Anknüpfungspunkte möglich machenden institutionellen Strukturen, erlaubten es den Protagonisten - jenseits etablierter Machtzentren im Kunstsystem -, durch geschickte Diplomatie und politische Protektion in einer extrem kurzen Frist einen ganz neuen Ausstellungstyp improvisierend zu realisieren. Mit der documenta schufen sie einen schließlich symbolisch wirkenden Raum und eine mit ihm verbundene künstlerische Aussage, welche der Nachkriegskunst in Westdeutschland einen inspirierenden Rahmen bot. Das wendete sich in bildhafter Eindrücklichkeit vor allem auch gegen die instrumentalisierenden Feindsetzungen und zwanghaften Stilvorschriften des NS-Regimes und schuf durch inszenatorische Mittel neue Maßstäbe für die Kunstwahrnehmung. Schon die erste Schau hatte die Kunstwelt verändert. Es geschah dies gewiss nicht mit jeder neuen Ausstellung in Kassel, aber in bestimmten Umbruchsituationen - wie etwa in der 4. documenta des Protestjahres 1968 - konnte sich das durchaus wiederholen. Auch hatte die Ausstellung eine Türöffnerfunktion für die Kunst in anderen Ländern, später auch Kontinenten. So zeigten sich an der II. documenta beispielsweise Parallelen zur Kunstausstellung während der Brüsseler Weltausstellung im Jahre 1958; und wiederum führte das Netzwerk der daran beteiligten Experten zu dieser Erkenntnis.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2011): Le arti figurative nella DDR. Dall'immaginazione di una nuova società al "Bilderstreit" tedesco dopo la riunificazione. In: Magda Martini / Thomas Schaarschmidt (Hrsg.): Riflessioni sulla DDR. Prospettive internazionali e interdisciplinari vent'anni dopo. Bologna: Mulino 2011, S. 377-398
    Rehberg, Karl-Siegbert
  • (2011): Zwei deutsche Geschichten. Die Selbstverständnisse der DDR und BRD vor und im Prozess der Wiedervereinigung. In: Hans Vorländer (Hrsg.): Revolution und demokratische Neugründung. Dresden: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung 2011, S. 157-172
    Rehberg, Karl-Siegbert
  • (2011): Zwischen Präsenz und Verdrängung. Bilder aus der DDR in Museen und Sammlungen. In: Katja Margarethe Mieth (Hrsg.): Stichwort Provinienz. Museums- und Sammlungspolitik in der DDR. Dresden: Sächsische Landesstelle für Museumswesen 2011, S. 98-109
    Rehberg, Karl-Siegbert
  • (2012): DDR-Kunst im Museum - zwischen Kontroverse und Vermittlung. Was erzählen uns Bilder über den realen Sozialismus? In: Katrin Hammerstein / Jan Scheunemann (Hrsg.): Die Musealisierung der DDR. Wege, Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Zeitgeschichte in Stadt- und regionalgeschichtlichen Museen. Berlin: Metropol 2012, S. 266-274 [Diskussion, S. 275-303]
    Rehberg, Karl-Siegbert
  • (2012): Kunstsoziologie als Gesellschaftsanalyse. Das Beispiel des „Kunststaates" DDR und des (ostdeutschen) Transformationsprozesses seit 1990. In: Sociologia Internationalis 50 (2012), S. 49-86
    Rehberg, Karl-Siegbert
  • Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR - neu gesehen [Ausst.-Katalog Neues Museum Weimar 19.10.2012-3.2.2013], Köln: König 2012
    Rehberg, Karl-Siegbert / Wolfgang Holler / Paul Kaiser (Hrsg.)
  • Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch. Die Debatten um die Kunst aus der DDR im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Berlin/Kassel: Siebenhaar 2013
    Rehberg, Karl-Siegbert / Paul Kaiser (Hrsg.)
  • Beziehungsanalysen. Bildende Künste in Westdeutschland nach 1945. Akteure, Institutionen, Ausstellungen und Kontexte. Reihe „Kunst und Gesellschaft", Wiesbaden: Springer VS
    Panzer, Gerhard / Franziska Völz / Karl-Siegbert Rehberg (Hrsg.)
  • Die sich ausstellende Gesellschaft. Ausstellungen als Medium des Sozialen. In: Dagmar Danko / Olivier Moeschier / Florian Schumacher (Hrsg.): Perspektiven der Kunstsoziologie II. Kunst und Öffentlichkeit. Reihe „Kunst und Gesellschaft", Wiesbaden: Springer VS, 2015, pp 237-266. - 978-3-658-01833-7
    Panzer, Gerhard
 
 

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