Karthago - Stadtentwicklung von der archaischen bis in die frühbyzantinische Zeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Gebiet südlich der heutigen Rue Ibn Chabâat in Carthage, heute ein mondäner Villenvorort der Landeshauptstadt Tunis, stand seit 1988 im Fokus der Aktivitäten des Deutschen Archäologischen Instituts Rom und des Institut National du Patrimoine (INP) Tunis. An der Schnittstelle des Decumanus Maximus, der in seinem Verlauf etwa der modernen Rue Ibn Chabâat entspricht, konnte hier die Entwicklung der Mittelmeermetropole seit den frühesten Anfängen bis in die frühbyzantinische Zeit exemplarisch nachvollzogen werden. Das Projekt konzentrierte sich besonders auf die früh- bis spätpunische Epoche (8. Jh. v. Chr. - 146 v. Chr.) und brachte nach dem Tode des langjährigen Grabungsleiters Friedrich Rakob dieses archäologische Großprojekt zum Abschluss. Ergänzend wurden Fragestellungen zur Gründungszeit der römischen Provinzhauptstadt unter Kaiser Augustus und der spätesten Entwicklungen in diesem Areal unter Kaiser Justinian aufgegriffen, die sich erst nach der wissenschaftlichen Publikation der römischen Befunde im Band Karthago IV (2012) ergeben hatten. Bereits ab etwa 750 v. Chr. lassen sich an der Rue Ibn Chabâat frühpunische Wohnbauten nachweisen, die zu den frühesten Siedlungsspuren in Karthago gehören. Deutlich wird, dass diesen Häusern mit bis zu 150 Quadratmetern bebauter Fläche eine einheitliche urbanistische Planung zugrunde liegt, da in den insgesamt drei nachgewiesenen Perioden bis zum Ende des 6./Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. durchgehend genutzte Gemeinschaftsmauern bestehen. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts erfährt das Areal unter der Dynastie der Magoniden eine grundlegende Umgestaltung: Die Wohnbauten werden abgerissen und einplaniert. An ihrer Stelle entstehen zwei L-förmig zueinander angeordnete monumentale öffentliche Großbauten unbekannter Funktion, die einen Platz mit etwa 370 Quadratmeter rahmen. Unter Hannibal wird um 200 v. Chr. der südliche der beiden Großbauten abgerissen und der Platz nach Süden erweitert. Damit ist erstmals in Karthago ein öffentlicher Platz mittel- und spätpunischer Zeit nachgewiesen, ohne dass sich seine Funktion als Forum der Unterstadt Karthagos definitiv beweisen lässt. Die exponierte Lage des Platzes an der 10m-Höhenlinie und nördlich der punischen Häfen, von wo aus der Angriff der römischen Truppen 146 v. Chr. erfolgte, schließt eine derartige Interpretation aber zumindest nicht aus. Das Platzareal wird von den Römern bei der Neugründung der Stadt unter Kaiser Augustus systematisch vom Trümmerschutt der Zerstörung im Dritten Römisch-Punischen Krieg 146 v. Chr. befreit und dient als Ausgangsniveau für die Neuplanung einer der größten Städte der antiken Welt. Zunächst entstehen hier Wohnblöcke, die um 200 n. Chr. durch einen monumentalen hallenartigen Großbau ersetzt werden, bevor unter Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert an gleicher Stelle unter Verwendung der älteren Fundamente eine kreisrunde Heiligen-Memoria entsteht. Nach Abschluss der Grabungen wurde das Grabungsareal als Archäologischer Park "Quartier Didon" für die Öffentlichkeit erschlossen. Im November 2017 wurde er in Anwesenheit des Deutschen Botschafters in Tunesien feierlich eröffnet. Der französische Name "Didon" verweist auf Prinzessin Dido aus Tyros, die der Legende nach im Jahre 814 v. Chr. Karthago als Quart’Hadasht (neue Stadt) gründete. Die ältesten an der Rue Ibn Chabâat festgestellten Wohnbauten datieren nur etwa 60 Jahre später. Im Rahmen der Einrichtung des archäologischen Parks entstand ein deutsch-englischer Flyer, der die komplexe Stratigraphie und Siedlungsgeschichte kompakt zusammenfasst.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Römische und byzantinische Großbauten am Decumanus Maximus. In: H. von Hesberg, A. Krandel-Ben Younès (Hrsg.), Die deutschen Ausgrabungen in Karthago, Karthago, Vol. 4. 2012, 254 S.
H. Dolenz, Ch. Flügel
- Karthago, Tunesien. Grabungen an der Rue Ibn Chabâat. Die Arbeiten der Jahre 2012 und 2013, e-Forschungsbericht des Deutschen Archäologischen Instituts, Jg. 2014 Issue 2, pp. 120–126.
Ch. Flügel
- Early Punic Town-Planning in Carthage (Tunisia). DAI Rome and INP Tunis-Excavations 2009-2012 in Rue Ibn Chabâat. In: J. L. Lopez Castro (Hrsg.), Fenicios entre Utica y Gadir: Navegación y colonización fenicia en el Mediterráneo Occidental a comienzos del I millennio a.C. Akten Kongr. Almería, IX. 2015, pp.83-86.
Ch. Flügel, H. Dolenz, Ch. Baur, M. Bolder-Boos, K. Mansel, K. Schmidt, F. Schön, H. Töpfer, A. Willmitzer
- Karthago, Tunesien. Grabung im Bereich der frühpunischen Häuser an der Rue Ibn Chabâat. Die Ergebnisse der Arbeiten 2009–2012. Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts.
e-Forschungsberichte des DAI, Jg. 2015, Faszikel 3, S. 123–129.
M. Bolder Boos, Ch. Baur, F. Schön, A. Willmitzer
- Le développement tardif du centre de Carthage: Aspects religieux et infrastructurels, in: P. Ruggeri (Hrsg.), L‘Africa Romana. Monumenti di continuità e rottura. Bilancio di trent‘anni di convegni L‘Africa Romana. Atti del XX Convegno Internazionale di studi (Alghero – Porto Conto Ricerche, 26.-29.9.2013, Sassari 2015, pp. 1135–1142.
R. Bockmann
- Wohnformen und Siedlungsstruktur in den frühen phönizischen Niederlassungen: Karthago und der Westen, in: F. Schön – H. Töpfer (Hrsg.), Karthago Dialoge. Karthago und der punische Mittelmeerraum – Kulturkontakte und Kulturtransfers im 1. Jahrtausend vor Christus. RessourcenKulturen, Band 2. 2016 pp.77–100.
M. Bolder-Boos
- Carthage, «Quartier Didon» (Rue Ibn Chabâat): Le développement urbanistique de la période punique précoce à la période punique tardive. Rapport préliminaire des fouilles menées par le DAI Rome et l’INP Tunis 2009–2012, Antiquités Africaines, Vol. 54. 2018, pp. 27-40, ISBN978-2-271-12262-9
Ch. Flügel, H. Dolenz