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Traditionen der schriftlichen Mathematik und Mathematikvermittlung im deutschen und im französischen Sprachraum zwischen 1650 und 1820 - Herausbildung und Differenzierung von wissenschaftlichen Disziplinen in nationalen Kontexten

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2010 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 187415856
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Teilprojekt "Anfangsgründe- und Cours-Literatur" widmete sich zwei weitgehend neuartigen Typen von mathematschen Lehrwerken, die im 18. Jh. in großer Zahl und in teilweise weiter Verbreitung erschienen sind. Diese lassen sich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland nachweisen; im erstgenannten Sprachraum werden sie meist als „Cours" (de mathématique) angekündigt, im deutschsprachigen Raum dagegen als „Anfangsgründe". Der französische Titel deutet schon in der Wortwahl (cours = Lehrgang, Vorlesung) den engen Bezug zur Lehre an, während der deutschsprachige Begriff, der im Übrigen auch in vielen anderen Bereichen außerhalb der Mathematik gängig war, eher an den systematischen Aufbau der Wissenschaft selbst oder zumindest ihrer Darbietung anknüpft: Es geht um Grundlagen, Grundwissen, Elemente (gelegentlich findet sich auch „Elemente" als Titel). Die bekanntesten Vertreter der von uns untersuchten Literaturgattung sind Bézouts „Cours de mathématique" und Kästners „Anfangsgründe der mathematischen Wissenschaften". Diese neue Gattung scheint erstmalig in der Geschichte der Mathematik durch einen engen Zusammenhang zwischen ihrer Lehre (an Gymnasien, Colleges, Universitäten, Spezialhochschulen) und ihrer schriftlichen Darlegung geprägt zu sein. Deshalb lag die Frage nahe, inwieweit didaktische Elemente sich in ihnen nachweisen lassen (z. B. systematische Anordnung des Stoffes vom Einfachen zum Schwierigeren, Einsatz von Abbildungen und Beispielen, Hinweise auf weiterführende Literatur, historische Informationen etc.). Hier konnten im Projekt allerlei interessante Aspekte gefunden und ergründet werden. Interessant ist auch die Tatsache, dass sich viele sowohl der französisch- als auch der deutschsprachigen Lehrbücher breit dem damals so genannten Gebiet der „mathematischen Wissenschaften" widmeten. Dieses geht weit über das hinaus, was man später angewandte und reine Mathematik nennen wird, wobei diese beiden Begriffe auch in der untersuchten Literatur häufig auftraten. Der ältere Begriff „gemischte Mathematik" wurde zunehmend verdrängt. Als einigendes Band zwischen allen Gebieten der mathematischen Wissenschaften erwies sich ganz traditionell der Größenbegriff. Auch die sogenannte mathematische Methode war ein wichtiges Merkmal. Insgesamt sieht man hier auch die im 18. Jh. verbreitete Tendenz zum Enzyklopädischen. Eine genauere Untersuchung der Inhalte förderte aber trotz gewisser einheitlicher Züge deutliche Unterschiede in Frankreich und Deutschland hervor. Die Einflüsse des jeweiligen Bildungssystems machen sich hier deutlich bemerkbar: Während die deutsche Universität im Bereich der Artistenfakultät (später dann der Philosophischen Fakultät), in dem ja die Mathematik angesiedelt war, mehr darauf abzielte, für Allgemeinbildung zu sorgen, dienten die französischen Spezialhochschulen hauptsächlich der Berufungsvorbereitung. Dies schlägt sich dann darin nieder, dass bestimmte Gebiete wie etwa Navigation für zukünftige Marineoffiziere oder Ballistik für Artillerieoffiziere in den „Cours" ausführlich und fachlich vertieft behandelt werden. Die Anfangsgründe hingegen vermitteln hier eher oberflächliche Kenntnisse, die es erlauben, an einer entsprechenden Konversation teilzunehmen. Gemeinsam ist beiden Richtungen aber die Betonung der Nützlichkeit von Mathematik, worin man den Einfluss des im 18. Jh. wichtigen utilitaristischen Denkens sehen kann. Es zeigte sich aber auch in unseren Untersuchungen, dass beide Literaturgattungen versuchten, zu ihrer Zeit neue und schwierige Gebiete (beispielsweise die Differential- und Integralrechnung, die Algebra) didaktisch aufzuarbeiten und dem Lernenden nahezubringen. Insofern darf man sie nicht mit reinen Elementarlehrbüchern gleichsetzen. Auch hinsichtlich der Nachwirkungen im 19. Jh. gab es bemerkenswerte Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Sprachräumen. Während die „Anfangsgründe" rasch verschwanden, blieb z. B. Bézouts „Cours" auch im 19. Jh. noch ein viel verwendetes Lehrbuch. Das Teilprojekt zur wissenschaftlichen Tätigkeit des Jesuitenordens in der frühen Neuzeit nahm sich der Aufgabe an, eine digitale Prosopographie der beteiligten Gelehrten zu erstellen (Jesuit Science Network), da bisher keine entsprechende Überblicksdarstellung existiert. Auf Grundlage von Carlos Sommervogels bio-bibliographischer „Bibliothéque de la Compagnie de Jésus", sowie weiterer Werke wurde ein Konzept für eine solche Sammlung entworfen und mit Hilfe des Personendatenrepositoriums an der BBAW umgesetzt. Die wesentliche Arbeit bestand darin, historische Fakten und Kontexte mit digitalen Methoden wiederzugeben und dadurch neue Blickwinkel auf bereits vorhandenes Material zu erlauben. Im Jesuit Science Network ermöglichen digitale Methoden, orientiert am Frageraster „Wer hat was wann und wo gemacht" große Datenmengen systematisch zu bearbeiten und auszuwerten und darüber hinaus auch einem erweiterten Publikum zur Verfügung zu stellen. Ein Desiderat der Datenbank ist die Ergänzung der Datenbasis durch die vielen lokalen Studien, die vorliegen (v.a. Italien, Frankreich, Spanien), die aber im Projektrahmen nicht systematisch berücksichtigt werden konnten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2013): Die „Mathematischen Anfangsgründe" von Abraham Gotthelf Kästner. In: Rathgeb, M., u.a. (Hrsg.): Mathematik im Prozess. Philosophische, Historische und Didaktische Perspektiven, S. 137-150
    Kröger, Desirée
  • (2014): Ein Mathematiker, der nicht rechnen kann? Die Karikatur von Carl Friedrich Gauß über Abraham Gotthelf Kästner. In: Mathematische Semesterberichte. 61 (2014), S. 35-51
    Kröger, Desirée
  • (2015): Abraham Gotthelf Kästner als Lehrbuchautor. Unter Berücksichtigung weiterer deutschsprachiger mathematischer Lehrbücher für den universitären Unterricht. Dissertation, Wuppertal 2014
    Kröger, Desirée
  • (2015): Abraham Gotthelf Kästner and his „Mathematische Anfangsgründe". In: Dig where you stand 3, Proceedings of the Third international conference on the history of mathematics education, Uppsala University, S. 233-245
    Kröger, Desirée
  • (2015): Teaching the Mathematical Sciences at French and German Universities during the 18th Century: The Case Study of Negative Numbers. In: History and Epistemology in Mathematics Education. Proceedings of the seventh European Summer University, Aarhus University, S. 99-109
    Confalonieri, Sara and Kröger, Desirée
  • (2015): Teaching the mathematical sciences in France during the 18th century: a few examples from some of the most used textbooks. In: Dig where you stand 3, Proceedings of the Third international conference on the history of mathematics education, Uppsala University, S. 137-150
    Confalonieri, Sara
  • Teaching the mathematical sciences at French and German universities during the 18th century (Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse des Teilprojekts in Buchform). Göttingen, Cuvillier, 2016
    Confalonieri, S./Kröger, D.
 
 

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