Die Syntax von Titelblättern des 16. und 17. Jahrhunderts
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Titelblätter entstehen in den ersten Jahrzehnten seit der Erfindung des Buchdrucks. Während mittelalterliche Handschriften kein Titelblatt haben, verfügen die meisten gedruckten Bücher am Ende des 15. Jahrhunderts über eine separierte Titelseite. Dabei unterscheiden sich die frühen Titelblätter hinsichtlich Umfang, Layout, Informationsgehalt und sprachlicher Gestaltung deutlich von den heute üblichen Formen. Ziel des Projekts war die Untersuchung der syntaktischen Strukturen deutschsprachiger Titelblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Anhand eines Korpus von mehr als 600 Titelblättern konnte nachgewiesen werden, dass die Syntax den besonderen funktionalen und kommunikativen Entstehungsbedingungen der Titelblätter angepasst ist. Titelblätter müssen für das Buch werben und über seinen Inhalt informieren, haben dafür aber nur eine einzige Seite zur Verfügung. Aus diesem Grund finden sich auf den Titelblätter syntaktisch stark verdichtete Strukturen. Die Formulierungen sind nicht ungrammatisch, die Möglichkeiten der Syntax werden aber anders ausgenutzt als im Fließtext. Die Titelblattsyntax ist durch selbstständige Nominalsätze geprägt, die sehr umfangreich sein können. Dadurch gelingt es, sehr viele Informationen möglichst kompakt auf dem Titelblatt unterzubringen. Die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den einzelnen syntaktischen Einheiten sind oft nicht eindeutig. Für die zeitgenössische Rezeption der Titelblätter stellt diese Offenheit aber wohl kein Problem dar, die Mehrfachbezüge sind eher als Angebot an den Leser zu sehen. Titelblätter verwenden für die Formulierung bestimmter Inhalte (z.B. Werktitel, Zielgruppe, Inhalt, Verfasser, Drucker) jeweils wenige charakteristische Formulierungsmuster. Dies unterstützt, zusammen mit einem relativ einheitlichen Aufbau der Titelseite, die Rezeption der Titelblätter. Innerhalb des zwei Jahrhunderte umfassenden Untersuchungszeitraums ließen sich deutliche Entwicklungen nachweisen. Die Syntax der frühen Titelblätter ähnelt in vieler Hinsicht noch der Textsyntax. Im Lauf des 16. Jahrhunderts bilden sich die unterschiedlichen charakteristischen Phänomene der Titelblattsyntax heraus. Neben den prägenden umfangreichen substantivischen Wortgruppen gehören dazu auch selbstständige Verbletztsätze oder Partizipialkonstruktionen und verschiedene Besonderheiten der Wortstellung. Die Textmenge nimmt deutlich zu, es bildet sich eine bestimmte Form der Titelblattgestaltung heraus, bei der der Text auf einzelne Textblöcke verteilt wird. Im 17. Jahrhundert entstehen kaum neue syntaktische Phänomene, die grundsätzliche Tendenz zu mehr Verdichtung und zur Verwendung fester Formulierungsmuster setzt sich aber fort. Im 16. und 17. Jahrhundert zeigen sich gewisse Unterschiede zwischen einzelnen Textkategorien, regionale Besonderheiten sind dagegen nicht zu erkennen. Es ist also davon auszugehen, dass im Bereich der Gestaltung und Formulierung der Titelblätter überregionale Gebrauchsnormen existieren. Im frühneuzeitlichen Literaturbetrieb spielen Titelblätter eine wichtige Rolle, weil es noch kaum andere Formen der Werbung für Bücher gibt. Die auf den Titelblättern nachweisbaren syntaktischen Strukturen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Vielzahl von Informationen auf engstem Raum ansprechend präsentieren. Damit trägt die Titelblattsyntax entscheidend dazu bei, dass die Titelblätter ihre zentrale Funktion, die informierende Werbung für das Buch, angemessen erfüllen können.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2011): Zur Syntax von Titelblättern des 16. Jahrhunderts, in: Geschichte der Gesamtsatzstrukturen vom Althochdeutschen bis zum Frühneuhochdeutschen. Hrsg. von Franz Simmler und Claudia Wich-Reif, Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A. Kongressberichte 104, Bern – Berlin u.a., S. 67-95
Götz, Ursula
- (2012): Welche König Helmas in Albanien Tochter / und ein Meer=Wunder gewesen. Zur Syntax von Titelblättern des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Zeichensprachen des literarischen Buchs in der frühen Neuzeit: Die „Melusine“ des Thüring von Ringoltingen. Hrsg. von Ursula Rautenberg, Mechthild Habermann, Hans-Jörg Künast und Heidrun Stein-Kecks, Berlin – New York, S. 225-248
Götz, Ursula
- Die Syntax von Titelblättern des 16. und 17. Jahrhunderts, in: traditio et innovatio. Forschungsmagazin der Universität Rostock 17 (2012), S. 29-31
Woggan, Annika
- (2014): Dit is der lant friede – Zur Syntax frühneuzeitlicher Titelblätter aus Köln, in: Karin, Anna – Ulivi, Silvia – Wich-Reif, Claudia (Hg.): Regiolekt, Funktiolekt, Idiolekt: Die Stadt und ihre Sprachen. Akten der 31. Tagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung. Bonn, 29. September – 02. Oktober 2013, Sprache in kulturellen Kontexten 1, Bonn, S. 117-131
Woggan, Annika
- Die Syntax von Titelblättern des 16. und 17. Jahrhunderts. Vorgesehen für die Reihe Lingua Historica Germanica, Verlag de Gruyter Berlin, 2017, 294 S. 9783110544916
Anne Gessing, Ursula Götz, Marko Neumann und Annika Woggan