Das 20. Jahrhundert als Erfahrung und Sujet. Zeitgeschichte und Zeiterfahrung in der deutsch-deutschen Historikerkonkurrenz
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Kalten Krieg war die Zeitgeschichtsforschung Medium und Mittel ideologischer Auseinandersetzung. Dennoch blieben Historiker im geteilten Deutschland stets aufeinander bezogen und miteinander befasst. Was sie unweigerlich verband, war nicht zuletzt die im doppelten Sinne geteilte Erfahrung im „Zeitalter der Extreme“ und die bis 1945 gemeinsame Nationalgeschichte. Ihre zeitgeschichtlichen Arbeiten zu den wichtigsten historischen Ereignissen im 20. Jahrhundert lassen sich als rezeptiver Frage-Antwort-Modus deuten, der stets auch über die Mauer hinweg reichen, die Historikerschaft auf der anderen Seite erreichen sollte. Der deutsch-deutsche Resonanzraum bildet deswegen einen wesentlichen Kontext der Zeitgeschichtsschreibung in den beiden deutschen Staaten. Dieser wurde von der Forschung bisher zu wenig wahrgenommen. Viele Zeitgeschichtsforschungen oder -debatten lassen sich mithin nur dann verstehen, wenn sie auch in ihren deutsch-deutschen Bezügen verortet und untersucht werden. Die mittel- oder unmittelbaren, subtilen oder expliziten Resonanzen und Kontakte, die sich durch die gesamte Zeit der deutschen Teilung ziehen und sich häufig um runde Gedenktage der gemeinsamen Nationalgeschichte jeweils auffällig verdichteten, führten jedoch nicht zu weitergehenden Überschneidungen in der Sache und Geschichtssicht. Vielmehr lassen sie sich als monologischer Dialog verstehen, der das Profil der Einzelhistoriografien schärfte statt dieses zugunsten einer gemeinsamen (Teil-)Identität zu verwischen. Bis zum Ende der deutschen Teilung war die Zeitgeschichtsforschung hüben wie drüben bestrebt, auch im Dialog mit der je anderen Seite die eigene Spezifik zu betonen. Eine Anverwandlung des westdeutschen Wissenschaftsverständnisses durch die DDR-Zeitgeschichte, die zu einer „Auflösung“ in den „Untergang“ geführt hätte (Martin Sabrow) wurde im Projekt nicht ausgemacht. Beide Historiografien beharrten bis zum Umbruch 1989/90 auf ihrem besonderen Profil, den je eigenen historischen Frage- und Deutungsmustern sowie (Geschichts-) Wissenschaftsverständnissen, auch wenn die deutsch-deutschen Kontakte sich gerade in den 1980er Jahren fraglos intensivierten. Franka Maubach, Ausgehungert nach Ideen. Der Aufbruch der jungen deutschen Intellektuellen, in: ZEIT-Geschichte 1/2015, S. 84-89. Franka Maubach, Blick zurück im Kreis: 1914, 1939, 1989 - vor lauter Jubiläen denken wir nicht mehr über die großen Zusammenhänge nach, in: Die ZEIT v. 30.12.2014, S. 20. Sendung mehrerer Mitschnitte von Vorträgen der Autorinnen und Autoren auf dem öffentlichen Symposium des Netzwerkes in Jena („Zeiterfahrung und Zeiterforschung im geteilten Deutschland. Ein Symposium des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts“, 17.-19. Januar 2013) im Radiosender Deutschlandradio Wissen im Frühjahr 2013 [über Radioarchiv erhältlich].
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Reactions from the Other Germany: The Fischer Controversy in the GDR, Journal of Contemporary History, 48.2 (April 2013), pp. 315-32
Matthew Stibbe
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Der unbekannte Moorsoldat: der kommunistische KZ-Häftling Rudi Goguel (1908-1976) als kritischer Zeithistoriker in der DDR, in: Helmut Peitsch/Margrid Bircken/Andreas Degen (Hrsg.), Reizland DDR: Deutungen und Selbstdeutungen literarischer West-Ost-Migration, Göttingen 2015, S. 135-147
Christoph Kleßmann
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Die Dreiecksbeziehungen der Fachhistoriker. Überlegungen über den Umbruch in der ostdeutschen Geschichtswissenschaft, in: Die Hochschule. Journal für Wissenschaft und Bildung 2015/1, S. 37-47
Krijn Thijs
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Reinhart Koselleck und das Überleben in Trauer nach den Umbrüchen von 1945 und 1989, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63 (2015), H. 5, S. 435-450
Christina Morina
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Das 20. Jahrhundert erzählen: Zeiterfahrung und Zeiterforschung im geteilten Deutschland (Göttingen: Wallstein 2016)
Franka Maubach/Christina Morina (Hrsg.)