Geschlechtsbilder und Präventionskonzepte kardiovaskulärer Erkrankungen in Deutschland, 1949 - 2000
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war es, eine historische Analyse der Präventionskonzeption von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland auf einer öffentlichen, fachwissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Ebene zu entwickeln, bei der die theoretische und forschungspraktische Relevanz der Analysekategorie Geschlecht kritisch geprüft wird. Wir haben erfolgreich herausgearbeitet, dass ost- und westdeutsche Mediziner vor allem in der Nachkriegszeit ein ähnliches Verständnis von Herzkrankheiten pflegten. In dieser Vorstellung wurden gesundheitspolitische Vorgaben nur teilweise rezipiert und, besonders deutlich im ostdeutschen Kontext, mit einer eher traditionellen Sichtweise auf Herzkrankheiten überlagert. An zwei beispielhaften Komplexen - der Erwerbstätigkeit sowie dem Rauchen - haben wir gezeigt, dass bis in die 1970er Jahre hinein Frauen im Vergleich zu Männern in Ost- wie auch Westdeutschland als das andere Geschlecht konstruiert wurden; als das Geschlecht, das ein mehr an Vorsorge und Schutz bedurfte, weniger leistungsfähig sei und sich um die Gesundheit der Familie und des Volkes zu kümmern habe. Dies entsprach einer Tradition der hygienischen Volksbelehrung der 1920er und 1930er Jahre. Geschlechterbilder und Geschlechterrollenverhältnis prägten das Verständnis der Ursachen der Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie deren Prävention langfristig. Erst eine Modernisierung der 60er und 70er Jahre und das neue Paradigma der Risikofaktoren, das ein präventives Augenmerk auf das individuelle Gesundheitsverhalten lenkte, führte in kleinen Schritten dazu, dass das Geschlechterrollenverhältnis in Bezug auf Krankheit und Gesundheit hinterfragt wurde. In der Bundesrepublik trieb die Werte-Diskrepanz zwischen Anleitung zur gesunden Lebensführung und die Stärkung von Mündigkeit und Selbstbestimmung diese Wendung der 70er Jahre voran. In der DDR führten die Ordnungsvorstellung von Einheitlichkeit und Zentralität einerseits und das Subjektideal der sozialistischen Persönlichkeit andererseits zwar zur Etablierung integrierter Formen von Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation. Doch eine Selbst-Ermächtigung von Prävention der Herz-Kreislauferkrankungen, eine Reflexivwerdung der Genderbiase, die in der Bundesrepublik in den 70er Jahren sich Bahn brach, blieb in der DDR weitestgehend aus. Eine Antwort auf die Frage, wie diese zunehmende Divergenz zwischen DDR und BRD nach 1990 in kürzester Zeit institutionell homogenisiert wurde, sich aber nach wie vor Unterschiede zeigen, haben wir mit unserem Projekt historisch reflektiert angedeutet. Eine weiterführende Untersuchung halten wir hier jedoch für zielführend.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Prävention im deutsch-deutschen Vergleich: der Umgang mit chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems als Beispiel für eine asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte?" In: Detlef Brunner, Udo Grashoff und Andreas Kötzing, Hg.: Asymmetrisch verflochten? Neue Forschungen zur gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte (Berlin: Ch. Links Verlag, 2013)
Jeannette Madarasz-Lebenhagen und Antje Kampf
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Die „Modernisierung” der Gesundheitsaufklärung in beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1975: Das Beispiel Rauchen / The "modernization" of health education in both German states between 1949 and 1975: The example of smoking. In: Medizinhistorisches Journal, Bd. 50, H. 3 (2015), pp. 249-294
Christian Sammer
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„Geschlechterbilder in Präventionskonzepten: Männer- und Frauenherzen im deutsch-deutschen Vergleich, 1949-1990." In: Sylvelyn Hähner-Rombach, Hg.: Geschichte der Prävention. (Stuttgart: Franz-Steiner Verlag, 2015)
Jeannette Madarasz-Lebenhagen