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Keramikproduktion und Absatzraum. Ein wirtschaftsarchäologisches Modell zu Herstellung und Absatz von Gebrauchskeramik im nördlichen Teil Obergermaniens vom 1. bis 4. Jahrhundert n.Chr.

Fachliche Zuordnung Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Förderung Förderung von 2011 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 192967395
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Gebrauchskeramik, die Masse des Fundmaterials jeder Ausgrabung und jedes Survey, hat aus verschiedensten Gründen bislang nicht die Beachtung erfahren, die ihr zukommt. Ziel der archäologischarchäometrischen Pilotstudie, über die hier berichtet wird, war es, für den nördlichen Teil der Germania Superior Produktion und Distribution/Konsumtion des für den alltäglichen Gebrauch verwendeten Koch-, Vorrats-, Servier-, Trink- und Essgeschirrs zu untersuchen. Dabei sollte der Einsatz eines portablen energiedispersiven Röntgenfluoreszenz-Spektrometers (P-ED-RFA) für die geochemische Analyse einer großen Zahl von Keramikfragmenten evaluiert werden. Erarbeitet wurde ein Töpfereikataster, in dem die Daten zu den 17 bisher durch Publikationen erschlossenen Töpfereistandorten im Untersuchungsraum systematisiert und in einer Befund- und Funddatenbank zusammengeführt wurden. Es war möglich, den Publikationsstand durch die Aufnahme von sechs weiteren Produktionsorten qualitativ und quantitativ zu verbessern, womit dem Projekt Daten von 23 Standorten mit insgesamt 251 verschiedenen die Herstellung von Gebrauchskeramik dokumentierenden Befunden zur Verfügung standen. Parallel dazu wurden die für die einzelnen Töpfereistandorte verfügbaren geochemischen Referenzdaten statistisch überprüft und mit der µ-RFA und dem Massenspektrometer (ICP-MS) die Referenzdaten für die Standorte, die noch über keine verfügten, generiert. Die in den Töpfereien gefundene Gebrauchskeramik (Fehlbrände, Töpfereiabfall) dienten als Grundlage für die Erarbeitung eines Keramikrepertoriums. Alle lokal nachgewiesenen Produkte wurden systematisch und einheitlich beschrieben, in einer Synopse nach Formen, Typen, Varianten und Warengruppen neu klassifiziert und chronologisch differenziert. Dadurch entstand ein umfassendes Bestimmungswerk für Gebrauchskeramik im Arbeitsgebiet, das 20 Gefäßformen, 177 Typen und 442 Varianten in Wort und Bild erschließt. Nachdem mit Töpfereikataster, geochemischen Referenzdaten und Keramikrepertorium die Grundlagen der Produktion von Gebrauchskeramik im nördlichen Obergermanien zusammengestellt waren, so ging es in einer zweiten Projektphase um die Erarbeitung der Daten für die Untersuchung von Distribution und Konsumtion im definierten Absatzraum. Mit Hilfe des Keramikrepertoriums konnten im Absatzraum Gebrauchskeramikinventare aus 13 verschiedenen Fundorten einheitlich erschlossen werden (3154 diagnostische Scherben). Alle 3154 Fragmente wurden mittels P-ED-RFA analysiert, wobei am frisch erzeugten Bruch jeweils dreimal gemessen und dann der Mittelwert gebildet wurde. Anhand der Analysedaten konnte die Existenz von vier weiteren Töpfereistandorten wahrscheinlich gemacht werden. Damit lagen die Töpfereistandorte in den Jahrzehnen zwischen 120 – 160 n. Chr., dem Zeitraum, in dem am meisten Keramik produziert wurde, 10 – 20 km voneinander entfernt, die meisten an als Wasserwege nutzbaren Gewässern. Ihr Entstehen und ihre Verlagerung hängen eng mit der übergeordneten historischen Entwicklung im Untersuchungsraum zusammen. Die Auswertung der geochemischen Daten erfolgte mittels bivariaten Plots und multivariaten statistischen Verfahren (Diskriminanzund Hauptkomponentenanalysen). Anhand der geochemischen Daten konnten gut 90% aller Scherben in ihrer Herkunft bestimmt werden. Damit war es möglich, für die einzelnen Fundorte im Absatzraum die Belieferung mit Gebrauchskeramik zeitlich differenziert zu rekonstruieren und die Bedeutung der verschiedenen Töpfereien bzw. Töpfereistandorte zu charakterisieren. Wurde im Rahmen des Projekts für die Generierung der Referenzdaten für die Produktionsorte die aufwändige Laboranalytik (µ-RFA und ICP-MS) eingesetzt, so erfolgten die knapp 9500 Einzelmessungen an den diagnostischen Scherben aus dem Testraum mit der P-ED-RFA. Vor Beginn der Messungen wurde dieses vergleichsweise neue Analyseverfahren einer breit abgestützten Evaluierung unterzogen und die betr. Erkenntnisse in das Vorgehen einbezogen. Die Überprüfung der Qualität der Messdaten erfolgte kontinuierlich durch die Messung einer Standardprobe, zudem konnte ein zu diesem Zweck angeschafftes neues Laborgerät (Totalreflexionsröntgenfluoreszenzanalyse - TRFA) für die Qualitätssicherung eingesetzt werden. Regelmäßige Vergleichsmessungen bestätigten die hohe Qualität der mit der P-ED-RFA generierten Daten. Mit der in dieser Pilotstudie verfolgten Herangehensweise sowie den entwickelten und umgesetzten Methoden ist es unseres Erachtens überzeugend gelungen, die sehr großen Potenziale der Gebrauchskeramik als Gegenstand archäologischer wie wirtschaftsarchäologischer Forschung aufzuzeigen. Zudem hat die P-ED-RFA in einem Masseneinsatz ihre Tauglichkeit eindrücklich unter Beweis gestellt. Damit steht der Keramikforschung eine Methode zur Verfügung, die es bei entsprechender Anwendung erlaubt, die Provenienz von Gebrauchskeramik zu klären.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Neue Perspektiven für die Keramikanalytik. Zur Evaluation der portablen energiedispersiven Röntgenfluoreszenzanalyse (P-ED-RFA) als neues Verfahren für die geochemische Analyse von Keramik in der Archäologie. Frankfurter elektronische Rundschau zur Altertumskunde – FeRA 14, 2011, 1–30
    M. Helfert/O. Mecking/F. Lang/H.-M. von Kaenel
  • Geschirr in der Stallgrube. Die Keramikversorgung des römischen Lagers von Groß-Gerau- Wallerstädten. Hessen Archäologie 2012 (Stuttgart 2013) 109-112
    T. Hahn/M. Helfert
  • The application of total reflection x-ray fluorescence analysis (TXRF) to archaeometric ceramic research at the Goethe-University of Frankfurt. European Mineralogical Conference 2012, Vol. 1, 440.1
    M. Helfert
  • Die "Helleburg" im aktuellen Licht der Forschung. Hessen Archäologie 2012 (Stuttgart 2013) 113-115
    C. Agricola
  • Die portable energiedispersive Röntgenfluoreszenzanalyse (P-ED-RFA) – Studie zu methodischen und analytischen Grundlagen ihrer Anwendung in der archäologischen Keramikforschung. In: B. Ramminger/O. Stilborg/M. Helfert (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Analysen vor- und frühgeschichtlicher Keramik III. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 238 (Bonn 2013) 13 – 47
    M. Helfert
  • Der letzte Brand – ein römischer Töpferofen aus Schaafheim. Auswertung eines antiken Töpfereistandortes im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Hessen Archäologie 2015 (Stuttgart 2016) 83–85
    St. Kraus
  • Herkunftsbestimmung von Terra Sigillata aus Lahnau-Waldgirmes. In: A. Becker/G. Rasbach u. a., Waldgirmes. Die Ausgrabungen in der spätaugusteischen Siedlung von Lahnau-Waldgirmes (1993 – 2009) 1. Befunde und Funde. Römisch-Germanische Forschungen 71 (Darmstadt 2015) 224–234
    M. Helfert
  • Roman Pottery Research in Germany. In: S. James/S. Krmnicek (Hrsg.), The Oxford Handbook of the Archaeology of Roman Germany (Oxford 2015) 1–23
    S. Biegert/M. Helfert
  • Keramikforschung und Wirtschaftsarchäologie. Das Frankfurter Konzept. In: T. Kerig/K. Nowak/G. Roth (Hrsg.), Alles was zählt… Festschrift für Andreas Zimmermann. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 285 (Bonn 2016) 431–451
    H.-M. von Kaenel/M. Helfert
 
 

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