Musik im Dienst der politischen und sakralen Repräsentation: Antonio Caldaras Opern und Oratorien unter Kaiser Karl VI. (1716-1736)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Musikwissenschaft hat die Funktion höfischer Musik bislang überwiegend im Dienst der Repraesentatio maiestatis, der herrscherlichen Selbstdarstellung und der Akzentuierung des Rangs eines Herrscherhauses und vor allem für die höfische Oper betrachtet. Daran schloss das Projekt an, gerichtet auf das noch weitgehend unerforschte Wiener Opernschaffen Caldaras. Der kontextuell-kulturwissenschaftliche methodische Ansatz wurde zudem erstmalig und am Beispiel Caldaras auf das italienische Oratorium als einem im deutschsprachigen Raum fest im höfischen Umfeld verankerten, exklusiven Genre der nichtliturgischen geistlichen Musik angewendet. Wie die Untersuchungen des Wiener Repertoires ergaben, fügen sich die musikalischen Gattungen unter Kaiser Karl VI. – und hierbei sowohl die Oper wie das Oratorium – den historiographischen, genealogischen, architektonischen und bildkünstlerischen Medien absolut nahtlos an die Seite. Die sorgfältig ausgewählten Stoffe der Opern und Oratorien für Wien, die Integration des als primär „römisch“ rezipierten Oratoriums in die Wiener Hofkultur und die spezifische Art der Wiener Vertonungen (insbes. Kontrapunktik) lassen sich als librettistischmusikalische Ausprägung der Romanitas fassen, die von Karl VI. in den 1730er Jahren in allen Hofkünsten angestrebt wurde – Musik, Architektur und Bildkünste sind Elemente des hofkulturellen Programms des Kaisers und werden zu einer Einheit auf der Basis der Vorstellung der Translatio Imperii verschmolzen. Verbunden damit ist auf die in den Oratorien fixierbare Idee des Kaisertums durch die Habsburger hinzuweisen, auf eine Bevorzugung jener Könige des alten Testaments in den Oratorienstoffen, die auf der Kaiserkrone und nicht der sogenannten Rudolfskrone präsentiert werden. Dass die Musik für Karl VI. eine tragende Rolle im hofkulturellen Panorama bildete, belegt nicht nur die Verwendung großer Summen für den institutionell-personellen Ausbau der Hofkapelle und – damit eng verbunden – häufiger der Beauftragung mehrerer Komponisten für Gemeinschaftskompositionen im Bereich Oper. Erhebliche Wirkung entfaltete auch die eigene Musikpraxis des Kaisers und der Erzherzoginnen als Ausweis dafür, dass die Musikalität der Habsburger im Unterschied zu anderen Dynastien nicht nur persönliche Passion, sondern tragende Säule der Identität der Dynastie ist. Die bedeutende Musikförderung durch Karl VI. ist somit als Teil seiner Herrschaftspropaganda aufzufassen, sie ist Politik; die Kompositionen, die unter Karl VI. entstehen, sind Kommunikationsmittel, die das kaiserliche Image und den Anspruch der Habsburger auf das höchste weltliche Amt vermitteln, das sie allzeit in göttlichem Auftrag auszuüben trachteten. Und vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Debatte um den Kaiserhof als Leithof eine Dimension hinzu – die Etablierung von italienischer Oper und italienischem Oratorium an den deutschsprachigen katholischen Höfen ist keineswegs nur eine Form von Kulturtransfer in Orientierung am Kaiserhof, sondern auch Ausdruck kurfürstlicher Machtansprüche, wie sie sich politisch schließlich 1742 in der Wahl des Wittelsbachers Karl Albrecht zum Kaiser manifestieren sollten.