Langzeiteffekte der Implementation neuer Steuerungsstrukturen im Schulwesen. Eine multidimensionale Analyse am Beispiel zentraler Abiturprüfungen
Final Report Abstract
Im Anschluss an die dreijährige Längsschnittstudie von 2007-2009, in der die kurzfristigen Wirkungen der Implementation von zentral organisierten Abiturprüfungen in Bremen und Hessen untersucht wurden, war es das Ziel der vorliegenden Studie, die längerfristigen Effekte der Einführung zentraler Abiturprüfungen auf das Individuum, den Unterricht und die Schule zu überprüfen und Veränderungen nach der Einführung zentraler Abiturprüfungen in differenzieller Perspektive und unter Berücksichtigung multipler Kriterien zu analysieren. Hierzu wurden bei Schüler/innen und Lehrpersonen aller Gymnasien mit gymnasialer Oberstufe im Bundesland Bremen sowie in der Hälfte der im ersten Erhebungszeitraum befragten Gymnasien im Bundesland Hessen wiederum analoge Befragungen wie in 2007 bis 2009 durchgeführt. Drei Analysebereiche bezüglich längerfristiger Auswirkungen zentraler Abiturprüfungen standen im Zentrum: a) Mathematikkompetenzen der Schüler/innen, b) Standardsicherung und Bewertungspraxis in den Schulen im Fach Mathematik und c) Schul- und Unterrichtsprozesse und Lehrpersonen/ Schüler/innen. Die Ergebnisse zeigen ein sehr komplexes Bild der längerfristigen Veränderung aufgrund der Einführung zentraler Abiturprüfungen. In vielen Bereichen dominieren fach- oder gruppenspezifische Effekte, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass mit der Einführung zentraler Abiturprüfungen generelle Effekte einhergehen. Für beide Bundesländer kann allerdings dokumentiert werden, dass sowohl positive wie auch negative oder ambivalente Effekte resultieren. So gibt es Hinweise auf eine grössere Standardisierung der Beurteilungspraxis im schriftlichen Abitur im Fach Mathematik und auch in der gymnasialen Oberstufe (hier nur für Bremen untersucht). Ebenso zeigen sich positive Veränderungen der Unterrichtsqualität, hier allerdings stark fachspezifisch geprägt. Negative Entwicklungen zeigen sich in den zentral geprüften Kursen kaum. Hingegen fällt in Bremen der Leistungskurs Geschichte auf, der zwar nach wie vor dezentral geprüft wird, aber bei dem dennoch negative Veränderungen in der Unterrichtsqualität, in der motivationalen Regulation und der Verwendung von Lernstrategien in der Vorbereitung auf das Abitur sichtbar geworden sind. Allenfalls handelt es sich hier um einen Transfereffekt, der zukünftig noch genauer analysiert und diskutiert werden muss. In beiden Bundesländern findet sich eine systematische Reduktion der Belastungen und Unsicherheiten bei den Lehrpersonen aufgrund der Einführung zentraler Abiturprüfungen. Bei den Schüler/innen kann nur ein kurzfristiger negativer Effekt auf die Sicherheit gegenüber dem Abitur festgestellt werden, in der längerfristigen Perspektive zeigen sich aber keine inhaltlich bedeutsamen Unterschiede. Hingegen gibt es Hinweise, dass die Abiturvorbereitung ausserhalb des Unterrichts intensiviert worden ist, wobei ebenfalls eine Steigerung von Formen festgestellt werden kann, die ein hohes Potenzial haben für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand (Bildung von Lerngruppen). Gegenüber diesen als positiv zu bewertenden Entwicklungen zeigen sich aber auch eher problematische Veränderungen. Diese finden sich insbesondere in einer Engführung der Unterrichtsinhalte auf die zwei Jahre vor Abitur bekannt gegebenen Abiturschwerpunktthemen. Auch zeigt sich, dass die ausserschulische Vorbereitung aufs Abitur etwas stärker abhängig ist von familiären Ressourcen. Eltern und Bekannte werden häufiger in die Vorbereitung einbezogen, zudem werden häufiger, wenngleich auf tiefem Häufigkeitsniveau, bezahlte Vorbereitungskurse besucht. Insgesamt verweisen diese Ergebnisse darauf, dass die hohen Erwartungen, die aus politischer Perspektive oftmals an die Einführung des Zentralabiturs herangetragen werden, relativiert werden müssen. Es wird politisch zu entscheiden sein, in welchem Ausmass ‚Kollateralschäden‘ standardisierter Monitoringinstrumente akzeptiert werden und wie, mit welchen Unterstützungsmassnahmen, diesen negativen Entwicklungen entgegengearbeitet werden kann.
Publications
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