Aus der Welt gefallen: Berichte über "Märtyrer deutscher Wissenschaft" in Petermanns Geographischen Mitteilungen (1855-1878)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das durch das Projekt erschlossene Material erlaubt es, paradigmatisch (mikrologisch) Einblick zu gewinnen in die Produktion geographischen Wissens - und allgemeiner: in die Transformation der Wissenskultur des 19. Jahrhunderts unter dem Druck einer umfassenden Dynamisierung und Temporalisierung. Der Blick auf die für die PGM eigentümliche Konstruktion einer periodisierten Kartographie erlaubt es, mit der kulturwissenschaftlichen Raumforschung und der Zeitschriftenforschung zwei in den letzten Jahren gleichermaßen produktive Forschungsfelder zu verknüpfen. Während die PGM als Zeitschrift die Wissensproduktion dynamisieren und zerstreuen, entwickeln sie zugleich verschiedene Techniken der Übersicht und der Sammlung. Einerseits sind hier natürlich die Karten zu nennen, andererseits aber auch die Dramatisierung der Reisen in einer Reihe von Auf- und Abtritten und schließlich in Märtyrer-Legenden. Weder Karten noch Legenden vermögen jedoch für sich zu stehen, sondern bleiben in Prozessen der Supplementierung aufeinander angewiesen. Die Konzentration auf einzelne Forschungsreisende, die zunächst aus strategischen Gründen der Materialerschließung vorgenommen wurde, erweist sich also bereits auf der Objekt-Ebene als ein zentrales Mittel der Organisation von Wissen. Die Narration (einer Reise- wie einer Lebenserzählung) dient dabei als ein Mittel der Kohärenzstiftung in der Zeit, allerdings wird diese zugleich durch das Periodikum wie durch die Unterbrechungen in der Kommunikations- Infrastruktur in Frage gestellt - am nachdrücklichsten in der Figur des Verschollenen. Die Märtyrer- Legende vertritt jene Daten, die sich weder zu einer personalisierten Erzählung noch zu einer anonymisierten Karte zusammenfügen lassen. Wenn sie dabei zunächst aus dem Feld realistischer Modi der Darstellung hinauszuweisen scheint, deutet sie doch darauf hin, daß und wie diese Modi in formaler Hinsicht zu erweitern wären: in Form von wechselseitigen Supplementierungen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Über die wirbelreichen Tiefen des Meeres. Momentaufnahmen einer literarischen Hydrographie, in: Steffen Siegel/Petra Weigel (Hg.): Die Werkstatt des Kartographen. Materialien und Praktiken visueller Welterzeugung, München 2011: Fink, S. 123-142
Wolfgang Struck
- Ingejör Andrées luftfärd oder die melancholischen Entdeckungen des Films, in: Bay/Struck: Literarische Entdeckungsreisen, Köln 2012, S. 31-52
Wolfgang Struck
- Literarische Entdeckungsreisen. Vorfahren - Nachfahrten - Revisionen, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2012
Hansjörg Bay, Wolfgang Struck (Hg.)
- Die Zerstreutheit des Geographen. Jules Vernes andere Reise um die Welt, in: „Passepartout“ (Steffen Bogen, Jörg Dünne, Kirsten Kramer, Hg.): Weltnetzwerke – Weltspiele. Jules Vernes ‚In 80 Tagen um die Welt’, Konstanz 2013, S. 141-148
Wolfgang Struck
- POSTKOLONIALES BEGEHREN, in: Gabriele Dürbeck/Axel Dunker (Hg.): Postkoloniale Germanistik. Bestandaufnahme, theoretische Perspektiven, Lektüren, Bielefeld: Aisthesis 2014, S. 457-578
Hansjörg Bay, Wolfgang Struck
- Karten-Legenden. August Petermanns Verschollene, in: Irina Gradinari, Dorit Müller u. Johannes Pause (Hg.): Versteckt - Verirrt - Verschollen. Reisen und Nichtwissen. Wiesbaden: Reichert (2015), S. 69-83
Wolfgang Struck