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Die neuheidnische Hexenreligion im urbanen Kontext - Eine ethnografische Studie

Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2011 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 196379205
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Mit dieser Studie über die neuheidnische Hexenreligion und deren Praxis in der Stadt soll zum einen der wachsenden Bedeutung neuer Religionen Rechnung getragen werden. Zum anderen soll deutlich werden, dass mit zunehmender Verdichtung von urbanen Zentren in der Spät- beziehungsweise Postmoderne sich auch die hier zu findende religiöse Vielfalt und die Innovationskraft verstärken. Neben grundsätzlicher Charakteristika des Wechselspiels von „Stadt und Religion“ wird dabei auch dessen Einzigartigkeit herausgestellt, also gezeigt, dass die Hexenreligion in Berlin ein Berlinisches Phänomen ist: eine spezifische religiöse Praxis, die es so nur in dieser Stadt geben kann. Ausgehend von einer umfangreichen (lokal)historischen Situierung der Hexenreligion, durch die hervortritt, wie sehr sich die Hexenreligion in die Traditionslinien der westlichen Esoterik verortet und für Berlin bereits eine spezifische urban-kulturelle Patina angelegt hat, wird in der Untersuchung dem gegenwärtige Prozess der wachsenden Sichtbarkeit im Sinne von städtischer Öffentlichkeit neuheidnischer Hexen im Stadtkontext ethnografisch dicht nachgegangen. Idealtypisch lässt sich dieser Prozess in drei Stufen unterteilen. So kann die Hexenreligion durchaus als eine unsichtbare religiöse Praxis im Stadtraum beschrieben werden (Knoblauch 1991), die stark auf die individuellen Bedürfnisse der Praktizierenden abhebt und dabei in der „Versenkung privater Räum“ verschwindet. Die eigene Wohnung wird hier zentraler Schauplatz. Dabei ist festzuhalten, dass Wohnungen bzw. der Akt des Wohnens in der Stadt stärker als auf dem Land „eine Art Gegenwelt zur Außenwelt“ und dabei Ausgangspunkt für Identitätsbildung schlechthin darstellt. Diese Gegenwelten werden bei den Hexen paradigmatisch hervorgebracht. Doch die Hexenreligion verbleibt nicht in der Unsichtbarkeit. Ihre ProtagonistInnen erschaffen Ritualorte in der Stadt, die als liminal gelten können: sichtbar und doch unsichtbar. So führen Hexen ihre Rituale in dem „verbliebenen Rest“ Natur der Stadt durch – meist in Parks und an Seen der Stadt: öffentliche Orte also, die zum nächtlichen Ritual allerdings verweist sind. Hexen wollen von StadtbewohnerInnen möglichst nicht wahrgenommen werden, also weiterhin unsichtbar bleiben. Doch bei aller Unzugänglichkeit von „außen“, die die Hexen hier erzeugen, sind die Demarkationslinien nicht so stark gezogen. Immer wieder entstehen Momente der Durchlässigkeit und versuchter Sichtbarkeit. Es sind die materiellen Hinterlassenschaften ihrer Handlungen, die hier bedeutsam werden (gestreute Spiralen, gelegte Steinkreise, geschmückte Bäume). Die komplexe Kosmologie, die mit diesen Dingen und Zeichen unterlegt wird, ist denjenigen außerhalb der neuheidnischen Hexenreligion unbekannt. Die Präsenz von Hexen und ihr spirituelles Weltbild treten daher auf der einen Seite nicht klar hervor. Sie sind aber auf der anderen Seite auch nicht vollkommen unsichtbar. Es sind Orte der Liminalität, die nicht zuletzt als „Superzeichen“ fungieren sollen, wodurch eine „Rückverbindung zur Erde“ – die als immanent göttlich von den Hexen gesehen wird - im Bewusstsein der StädterInnen evoziert werden soll. Schließlich gibt es Moment wenngleich selten, wo Hexen forciert Sichtbarkeit mithin Öffentlichkeit in der Stadt einfordern. Dabei handelt es sich um wiederkehrende Ereignisse wie die Walpurgisnacht, des Weiteren um einmalige „Events“ wie die Hexendemonstration gegen den Papstbesuch und schließlich um von der Stadt gebotene Möglichkeiten sichtbar zu werden: hier ist auf die Lange Nacht der Religionen zu verweisen. Es ist dabei gerade die Stadt Berlin – durch die Vielzahl der Menschen, der konzentrierten Präsenz von Medien sowie die der Stadt zugeschriebene soziale und kulturelle Liberalität – die Öffentlichkeit im besonderen Maße erst ermöglicht. Insgesamt zeigt sich, wie sehr neuheidnische Hexen die Stadt zu einem Experimentierfeld ihrer religiösen Kosmologie machen und dabei die Bedeutung des Urbanen mit modellieren wie auch die religiösen Vorstellungen und Erfahrungen neu interpretieren.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Urban Witchcraft and the Issue of Authority. In: Fedele, Anna & Kim Knibbe (Hrsg.). Gender and Power in Contemporary Spirituality. Ethnographic Approaches. New York: Routledge, 142-159
    Hegner, Victoria
  • Hex and the City. Neopagan Witchcraft and the Urban Imaginary in Berlin. In: Ethnologia Europaea 43:1, 88-97
    Hegner, Victoria
  • Vom Feld verführt. Methodische Gratwanderungen in der Ethnografie. In: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 14(3), Art. 19
    Hegner, Victoria
  • Wo Hexen hexen. Die neuheidnische Hexenreligion und Orte ihrer Praxis in Berlin. In: Groschwitz, Helmut & Anja Schöne (Hrsg.). Religiosität und Spiritualität. Fragen, Kompetenzen, Ergebnisse. Münster, New York: Waxman Verlag, 321-338
    Hegner, Victoria
  • Hot, Strange, Völkisch, Cosmopolitan – Native Faith and Neopagan Witchcraft in Berlin`s Changing Urban Context. In: Rountree, Kathryn (Hg.). Contemporary Pagan and Native Faith Movements in Europe: Colonial and Nationalist Impulses. Oxford: Berghahn, 175-195
    Hegner, Victoria
 
 

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