Detailseite
Projekt Druckansicht

Neuronale Grundlagen adaptiven Entscheidungsverhaltens

Fachliche Zuordnung Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Förderung Förderung von 2011 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 197059818
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Menschen und Tiere leben in einer sich ständig verändernden Umwelt und haben effektive Mechanismen entwickelt, um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden und an Veränderungen anzupassen. Bei Säugetieren beruht diese Verhaltensflexibilität vor allem auf dem präfrontalen Kortex (PFC), und entsprechend führen Schädigungen dieser Struktur häufig zu situationsinadäquaten Verhaltensmustern wie beispielsweise Impulsivität oder Perseveration. Eine vergleichbare Struktur bei Vögeln ist das Nidopallium caudolaterale (NCL), welches sich zwar in seinem zytoarchitektonischen Aufbau sehr vom PFC unterscheidet (bspw. eine nukleäre Struktur statt einer Schichtung aufweist), ihm aber hinsichtlich seiner Verbindungen zu anderen Hirnregionen stark ähnelt. Darüber hinaus führen Läsionen des NCL zu ähnlichen Defiziten wie Läsionen des PFC, bspw. bei Aufgaben, in denen eine gewisse Flexibilität des Verhaltens vonnöten ist (z.B. Umlernen). Aus diesen Gründen könnte der NCL der Vögel, ähnlich wie der PFC der Säuger, ein wichtiges neuronales Substrat für adaptives Verhalten darstellen. Um die genannten Anpassungsmechanismen und ihre neuronalen Grundlagen im Vogelhirn besser zu verstehen, wurde eine Reihe von Verhaltensexperimenten mit Tauben durchgeführt. Im ersten Experiment bearbeiteten die Tiere eine perzeptuelle Diskriminationsaufgabe, in der sechs verschiedene Reize zwei unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden sollten. Die Tauben wurden für richtige Zuordnungen belohnt. Die experimentelle Manipulation bestand darin, in jeder Versuchsbedingung korrekte Antworten für einen der sechs Reize nicht zu belohnen. Diese einfache Manipulation erlaubt die Unterscheidung zwei konkurrierender Theorien: nach der einen Theorie verhalten sich die Tiere durchgängig „statistisch optimal“ (d.h. sie entscheiden sich immer so, dass sie die größtmögliche Zahl an Belohnungen erhalten), nach der anderen Theorie folgt ihr Verhalten dem sogenannten „Matching Law“, welches besagt, dass die relative Häufigkeit einer Handlung proportional zur relativen Häufigkeit der aus dieser Handlung bezogenen Belohnungen ausfällt („Matching“), unabhängig davon, ob dieses Verhalten optimal ist (die Zahl der Belohnungen maximiert) oder nicht. Beide Theorien wurden mehrfach experimentell bestätigt, allerdings wurden sie unseres Wissens nie direkt gegenübergestellt. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass optimales Verhalten nur dann zu beobachten ist, wenn es mit Matching einhergeht; ansonsten dominiert die Matching-Strategie. Es gelang uns, ein quantitatives Modell zu entwickeln, das diese Daten erklären und als Ausgangspunkt für weitere Studien dienen kann. Im zweiten Experiment wurden Tauben in der gleichen Aufgabe getestet, allerdings mit chronisch implantierten Elektroden zur Registrierung der Aktionspotenziale von Neuronen im NCL während der Durchführung der Entscheidungsaufgabe. Wie vermutet, ändert sich die Feuerrate von NCL-Zellen in Abhängigkeit vom Verhalten der Tiere: so zeigen manche NCL-Neurone schon mehrere Hundert Millisekunden vor Beobachtung einer Reaktion an, welche Handlung ausgeführt werden wird. Andere NCL-Zellen hingegen sind nicht vor, sondern nur während der Ausführung einer bestimmten Handlung aktiv. Wiederum andere Zellen sind während der Belohnungsgabe aktiv, und das Ausmaß ihrer Aktivität hängt zusätzlich davon ab, ob die Belohnung erwartet wurde (durchgängig auf einen bestimmten Reiz oder eine bestimmte Handlung folgte) oder nicht. Das dritte Experiment wurde durchgeführt, um die Beschaffenheit der neuronalen Aktivität im NCL näher zu beleuchten. Die Fragestellung war, ob neuronale Aktivität im NCL neben der Identität einer bestimmten Handlung (wie in Experiment 2 gezeigt) auch die Bedeutung bzw. den Wert einer bestimmten wiedergibt (dies ist im PFC von Primaten, nicht aber Ratten der Fall). Hierzu wurden den Taube bestimmte visuelle Reize (konditionierte Stimuli, CS) gezeigt, die unterschiedlich attraktive Belohnungen vorhersagten (z.B. eine große Belohnung nach kurzer Wartezeit oder eine kleine Belohnung nach einigen Sekunden Verzögerung). Tatsächlich unterscheiden einige NCL-Neurone anhand ihrer Feuerrate zwischen unterschiedlichen CS, allerdings sind diese Zellen nicht häufiger als man bei einer zufälligen Verteilung erwarten würde. Zusammengefasst zeigen diese Befunde, dass neuronale Aktivität im NCL vorwiegend Handlungsplanung und Handlungsdurchführung repräsentiert, und darüber hinaus von der Beschaffenheit visueller Reize beeinflusst wird, allerdings vermutlich nicht von deren Bedeutung für den Organismus. Die zur Auswertung gewonnener Spike-Daten entwickelten Matlab-Codes wurden als Software-Toolbox bei Matlab Central File Exchange veröffentlicht. Der Weblink lautet: http://www.mathworks.com/matlabcentral/fileexchange/37339.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2013) Suboptimal criterion setting in a perceptual choice task with asymmetric reinforcement. Behavioural Processes 96: 59
    Stüttgen MC, Kasties N, Lengersdorf D, Starosta S, Güntürkün O, Jäkel F
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.beproc.2013.02.014)
  • (2014) Single-neuron activity in the pigeon nidopallium caudolaterale reflects the formation and execution of perceptual decisions. European Journal of Neuroscience 40: 3316
    Lengersdorf D, Pusch R, Güntürkün O, Stüttgen MC
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung