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Bihtebuoch. Ein Beichtspiegel in Volkssprache des 14. Jahrhunderts in einer kommentierten Erstedition

Fachliche Zuordnung Germanistische Mediävistik (Ältere deutsche Literatur)
Förderung Förderung von 2011 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 200218341
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das ›Bihte buoch‹ entstand vermutlich um das Jahr 1300 und ist somit einer der ältesten deutschsprachigen Beichttraktate. Es will zunächst über die Erläuterung des korrekten Vollzugs der Beichte im Rahmen des Sakraments der Versöhnung seinen Rezipienten einen Weg zur Reinigung ihrer Herzen bieten, die ihnen die Schau Gottes nach ihrem Tod ermöglichen soll. Im Diesseits dient die Beichte aber auch als Vorbereitung zum Sakrament der Eucharistie, das für die gesellschaftliche Anerkennung der Sakramentenempfänger von besonderer Bedeutung ist. Durch die explizite Anleitung zu selbstverantwortlicher Gewissenserforschung artikuliert das ›Bihte buoch‹ allerdings auch nachhaltig die Rolle der Beichte als Instrument der religiösen Durchdringung, mentalen Verinnerlichung und normativen Disziplinierung im Hinblick auf die Entwicklung einer gesellschaftsbezogenen Ethik. Von der Forschung wurde der Text bisher nicht dieser seiner pragmatischen Bedeutung entsprechend gewürdigt, was v.a. daran liegt, dass bisher nur der Abdruck aus dem 18. Jahrhundert einer einzigen (überdies unvollständigen) Handschrift vorliegt. Zunächst war daher im Rahmen des Projekts eine Edition zu erstellen, die auf allen bisher bekannten Textzeugen beruht. Optiert wurde aufgrund der Besonderheiten der Überlieferung für eine zweigleisige Darbietung der Textüberlieferung: 1. als Fassungsedition und Lesetext nach der heute in Freising aufbewahrten Handschrift (die ältere, heute in Paris liegende Handschrift weist durch Blattverlust schon vor dem 18. Jahrhundert etwa 7% Textverlust gegenüber dem als Leithandschrift gewählten Manuskript auf) und 2. als synoptische diplomatische Edition aller Überlieferungszeugen. Auf diese Weise konnte der Text sowohl für interdisziplinäre Forschungsinteressen (Geschichtswissenschaft, Theologie, Soziologie usw. im Verbund mit der Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters) als auch für Untersuchungen im Bereich der germanistischen Sprachgeschichte optimal aufbereitet dargeboten werden. Bezug nehmend auf die Fassungsedition wurde im nächsten Schritt ein Stellenkommentar erstellt, der zum ersten Mal den Text des ›Bihte buochs‹ eingehender auf seine Quellen hin untersucht. Diese sind vor allem ein im Mittelalter dem Kirchenvater Augustinus zugeschriebener Traktat ›De vera et falsa pœnitentia‹, die ›Summa de Pænitentia‹ Raimunds von Peñafort und die ›Summa de vitiis‹ des Wilhelm Peraldus, daneben unter anderem echte Texte Augustins und Werke Gregors des Großen. Um das ›Bihte buoch‹ in seinen historischen und literarischen Kontext einzuordnen, wurden in einem abschließenden Schritt weitergehende Untersuchungen angestellt: Zunächst ging es darum, die im Text naturgemäß dominierende Beichte als eine von zwei Hauptformen des Sakraments der Versöhnung im Mittelalter zu veranschaulichen, von dem es auch mehrere Nebenformen gab. Danach wurden die als ‚althochdeutsche Beichten‘ bekannten ältesten Texte deutschsprachiger Beichtliteratur grundlegend auf ihre Pragmatik im Kontext der zuvor dargestellten verschiedenen Formen des Sakraments der Versöhnung im Mittelalter untersucht. Es ergab sich dabei, dass es sich bei ihnen um Vertreter der Textgattung ‚allgemeine Sündenbekenntnisse‘ handelt – neben den erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts aufkommenden Beichttraktaten die zweite Hauptgattung mittelalterlicher deutschsprachiger Beichtliteratur. Als literaturgeschichtlicher Hintergrund zur deutschsprachigen Beichttraktatliteratur wurde dann in Auswahl die lateinischsprachige Beichtliteratur des Hochmittelalters dargestellt, danach erstmals tiefer gehend ein dem ›Bihte buoch‹ gegenüber älterer deutschsprachiger Beichttraktat, der sich allerdings noch im Übergang von der Predigt zum Traktat befindet. Um die spätmittelalterliche Rezeption des ›Bihte buochs‹ durch den Franziskanerkonventualen Ludwig Schönmerlin, der 1483 das ›Bihte buoch‹ mit geringfügigen Eingriffen (insbesondere lexikalischen Modernisierungen, Hinzufügungen von Autoritäten und einer Fortsetzung des Textes, die im Kontext des Projekts ebenfalls erstmals ediert wurde) besser nachvollziehbar zu machen, wurde auch die noch weitgehend unerforschte sehr umfangreiche Beichtliteratur dieses Jahrhunderts an exemplarischen Texten näher untersucht. Abschließend wurde anhand eines Forschungsberichts die Frage diskutiert, ob Beichte und Beichtliteratur durch die Erzeugung von Angst und Schuldkomplexen gesellschaftsgeschichtlich insgesamt eher schädlich gewirkt oder durch eine durch religiöse Sinnstiftung begründete Pazifizierung der Individuen der Gesamtgesellschaft eher genützt habe. Edition, Stellenkommentar und begleitende Untersuchungen sollen gemeinsam im Druck vorgelegt werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Die Summa de vitiis des Wilhelm Peraldus als Quelle des ältesten nach hochscholastischer Systematik angelegten deutschsprachigen Beichttraktates, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. LiLi 46 (2016), Heft 1 (Labor), S. 5-24
    Rein, Matthias
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s41244-016-0003-9)
 
 

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