Diffusion des Humanen: Wiedergewinnung des Menschen als demokratisches Projekt
Final Report Abstract
Thema des verfassungsrechtswissenschaftlichen Projekts war die demokratisch-partizipative Seite der politischen Bewältigung der bio- und medizintechnisch induzierten „Diffusion des Humanen“, die sie sich vor allem an der Unschärfe des Rechtsbegriffs „Mensch“ ablesen lässt. Angesichts der Pluralität anthropologischer Konzepte, moralischer Positionen sowie grund- bzw. menschenrechtlicher Perspektiven ist das Projekt der Frage nachgegangen, inwieweit es in einer Demokratie insbesondere mithilfe deliberativer Partizipationsmodelle besser als bislang gelingen kann, die Uneindeutigkeit von „Menschenbildern“ auszuhalten und sich über konkrete handlungsleitende Folgerungen zu verständigen, die in positivrechtlichen Normen verbindliche Gestalt annehmen. Unter „Biopolitik“ waren im Rahmen des Projekts Problemlagen an den Grenzen des biologischen Lebens, z.B. Stammzellforschung, Transplantation, Sterbebegleitung („Sterbehilfe“), zu verstehen, die in aller Regel durch Parlamentsgesetze geregelt werden. Durchweg geht es in den Gesetzgebungsverfahren um die Frage nach der Signatur des Humanen, also nach dem normativen Selbstverständnis „des“ Menschen in seiner Pluralität. In einem politischen Gemeinwesen ohne allgemein konsentierte normative Mitte werden derartige Selbstverständigungen als Grundrechtsdiskurse geführt. Allerdings reproduziert die Grundrechtsauslegung in aller Regel nur die Pluralität moralischer Bewertungen, sorgt also nicht für eindeutige normative Orientierung. Das Forschungsprojekt hat hier angesetzt. Es ging der Frage nach, ob sich die Steuerungsschwäche der biopolitisch relevanten Grundrechte demokratisch kompensieren lässt. Die „Wiedergewinnung des Menschen“, der im Ritual der Gegenüberstellung jeweils „richtiger“ Grundrechtsauslegungen gleichsam normativ verloren geht, wäre dann – als „demokratisches Projekt“ – möglich. Das setzte – einerseits – Verständigungen über das Verhältnis der Grundrechte zum Demokratieverständnis des Grundgesetzes voraus. Andererseits müssen Anforderungen an den Umbau des Institutionenarrangements definiert werden, die eine partizipationsoffene Biopolitik in einer weiterhin dem Grunde nach mittelbar-repräsentativ ausgerichteten Parlamentsdemokratie ermöglichen. Das Verhältnis von Grundrechts- und Demokratietheorie verlangt nach einer Neukonfigurierung der parlamentarischen Gesetzgebung als Instrument der Grundrechtsausgestaltung. Der normative Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers im biopolitischen Bereich sollte gestärkt, die verfassungsgerichtliche Kontrolle entsprechend zurückgenommen werden. Darüber hinaus ist die problemadäquate Ergänzung der derzeitigen repräsentativen Parlamentsdemokratie um ein Netz aus unterschiedlich intensiven – mehr konsultativen, mehr vorentscheidenden – Instrumenten der flankierenden, mitlaufenden oder punktuell „nachholenden“ Partizipation der (jeweils genau zu definierenden) Öffentlichkeit geboten. Sie ergänzen die herkömmlichen Mechanismen repräsentativer Parlamentsdemokratie, aber verdrängen sie nicht. Die kritische Analyse der deliberativen Demokratietheorie spricht nicht für eine prinzipiell bessere Leistungsfähigkeit alternativer Partizipationsansätze auch und gerade im Bereich der Biopolitik.
Publications
- Die Wiedergewinnung des Menschen als demokratisches Projekt, Band 1: Neue Demokratietheorie als Bedingung demokratischer Grundrechtskonkretisierung in der Biopolitik, Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-153363-1
Stephan Rixen (Hrsg.)
- Zukunft der Selbstverwaltung. Responsivität und Reformbedarf, Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-09833-9
Stephan Rixen / Eva M. Welskop-Deffaa (Hrsg.)
- Die Wiedergewinnung des Menschen als demokratisches Projekt, Band 2: Partizipationsfreundliche Institutionenarrangements und wahrheitsorientierte Biopolitik. Mohr Siebeck, 2018. VIII, 204 S. - ISBN 978-3-16-154285-5
Stephan Rixen (Hrsg.)