Vom Heimatfest zum Stadtevent: Volkskundliches Wissen, Festivalisierung und die "Wende" urbaner Festkultur in den 1980er Jahren am Beispiel Berlins
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In dem Projekt sollte die Entstehung und Entwicklung von Stadtfesten „neuen Typs“ untersucht werden, die sich in den 1980er Jahren in Berlin zu entwickeln begannen. Diese Hypothese baute auf der Diagnose einer Festivalisierung der Stadtpolitik seit den 1980er Jahren auf. Anhand der Veränderung von Stadtfesten lassen sich sowohl gesellschaftliche Veränderungen als auch stadtpolitische Transformationen ablesen. Als Beispiele wurden die 750-Jahr-Feiern in Ost- und West-Berlin von 1987 sowie der Christopher Street Day, der Karneval der Kulturen und die Love Parade herangezogen. Als weitere Vergleichsfolie dienten die Stadtfeste der 1950er und 1960er Jahre, die bereits im vorangegangenen Projekt untersucht wurden. Durch die verschiedenen Perspektiven und methodischen Zugänge der Europäischen Ethnologie und der Theaterwissenschaft war das Arbeitsprogramm in zwei Teilprojekte gegliedert. Das Teilprojekt der Europäischen Ethnologie richtete mit einer praxistheoretischen Perspektive den Blick auf die Akteure, Praxen und Prozesse vor dem Hintergrund ökonomischer, sozialer und kultureller Faktoren und analysierte die dabei stattfindenden Aushandlungs- und Übersetzungsprozesse. Demgegenüber stützte sich das Teilprojekt der Theaterwissenschaft auf die aufführungsanalytische und theaterhistoriographische Methode. Analysiert wurde die Veränderung von Inszenierungsstrategien, Wirkungsweisen und Erfahrungsdimensionen der Feste. Die dem Antrag zu Grunde gelegte Hypothese, dass sich im Kontext der 750-Jahre-Feiern in Berlin die Festkultur zu verändern beginnt und sich dabei verschiedene Wissensbestände und Festpraktiken kreuzen, ließ sich zunächst bestätigen. Das volkskundliche Wissensformat „Volksfest“ wurde als solches historisiert und im Kontext einer historischen Meile (West-Berlin) oder eines historischen Markts (Ost-Berlin) als Vergnügung der Vergangenheit markiert und präsentiert. Die 750-Jahr-Feiern reihten sich somit in diese Festtradition ein, grenzten sich aber zugleich mit ihrer eigenen Festpraxis von ihr ab. Gleichzeitig zielten die 750-Jahr-Feiern in Ost- wie in West-Berlin auf eine Internationalisierung und Urbanisierung des Festgeschehens, wie sie für die Feste der 1990er Jahre kennzeichnend werden soll. In beiden Jubiläumsfeiern rückte die Stadt als Lebensraum und Lebenswelt in ihrer historischen, vor allem aber in ihrer gegenwärtigen Bedeutung in den Fokus. Dennoch gilt für die 750-Jahr-Feiern, dass sie zwar ein neues Konzept des Formats „Stadtfest“ entwickelten, welches sich durch die Antizipation einer urbanen Festgemeinschaft auszeichnet, jedoch noch keine passenden Inszenierungsformate bereithielten, die diese Gemeinschaft auch performativ umsetzen konnte. Diese Ambivalenz zeigt sich anhand der verschiedenen Aushandlungen im Vorfeld des Jubiläums und an den Protesten und Gegenaktionen bei der 750-Jahr-Feier in Ost- und West-Berlin. Erst das Hervortreten der Subkulturen Ende der 1980er Jahre und die Verbindung von Protest- und Festkultur, wie sie maßgeblich durch die Schwulenbewegung und die Frauenbewegung vorgeprägt wurde, erlaubte eine neue Form und Praxis des Feierns. Der Einsatz des Körpers, der bei der 750-Jahr-Feier noch reglementiert war, wurde nun zum zentralen Medium des Feierns. In den Festparaden der Love Parade, des CSDs und des Karnevals der Kulturen tritt der Körper in den Vordergrund und ermöglicht zum einen die Herstellung einer identitären Spezifik, die kulturell ausdefiniert wird, zum anderen die konkrete Herstellung eines intensiven Gemeinschaftserlebnisses der unterschiedlichen Kulturen in der Stadt. Das Nebeneinander der Feste der 1990er Jahre und ihre gemeinsame Festpraxis als Paraden erlaubt es, die Stadt als in sich diverse Gesellschaft und zugleich als Gemeinschaft der Städter wahrzunehmen. Insofern bieten die Stadtfeste in den 1990er Jahren erstmalig die Möglichkeit einer hochindividualisierten Selbstdarstellung in Verbindung mit dem intensiven Erleben einer temporären Vergemeinschaftung.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Theatre as a Festive Event: Performance as Social Utopia. In: Assaph – Studies in the Theatre, Nr. 24. Tel-Aviv 2011, S. 3-16
Erika Fischer-Lichte
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Theater und Fest in Europa. Perspektiven von Identität und Gemeinschaft (= Theatralität Bd. 11). Hrsg. v. Erika Fischer-Lichte/Matthias Warstat/Anne Littmann. Tübingen/Basel 2012
Erika Fischer-Lichte
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Urbane Kulturtransfers: Globale Stile, mediale Bühnen, lokale Räume. In: Eszter B. Gantner/Péter Varga (Hg.): Transfer – Interdisziplinär! Akteure, Topographien und Praxen des Wissenstransfers. Frankfurt/M. 2013, S. 211-234
Wolfgang Kaschuba
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Vom Tahrir-Platz in Kairo zum Hermannplatz in Berlin: Urbane Räume als „Claims“ und „Commons“? Raumanthropologische Betrachtungen. In: Eliza Bertuzzo/Eszter Gantner/Jörg Niewöhner/Heike Oevermann (Hg.): Kontrolle öffentlicher Räume. Unterstützen. Unterdrücken. Unterhalten. Unterwandern. Berlin usw. 2013, S. 20-56
Wolfgang Kaschuba
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Introduction: Interweaving Performance Cultures – Rethinking ‘Intercultural Theatre’: Toward an Experience and Theory of Performance beyond Postcolonialism. In: The Politics of Interweaving Performance Cultures: Beyond Postcolonialism. Hrsg. v. E. Fischer-Lichte/T. Jost/S. Jain. London/ New York 2014, S. 1-21
Erika Fischer-Lichte
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Politik oder Party? Der CSD in Berlin zwischen 1979 und 1993. In: Kaspar Maase/ Christoph Bareither/Brigitte Frizzoni/Mirjam Nast (Hg.): Macher – Medien – Publika. Beiträge der Europäischen Ethnologie zu Geschmack und Vergnügen. Würzburg 2014, S. 114-128
Dominik Kleinen
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Trachtenumzug, Skulpturenboulevard oder B-750 Parade? Aushandlungsprozesse um die politische Repräsentation und ästhetische Gestaltung der 750-Jahr-Feier in West-Berlin. In: Kaspar Maase/Christoph Bareither/Brigitte Frizzoni/Mirjam Nast (Hg.): Macher – Medien – Publika. Beiträge der Europäischen Ethnologie zu Geschmack und Vergnügen. Würzburg 2014, S. 99-113
Cornelia Kühn
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Umzüge in der Stadt. Historische Festumzüge als re-inszenierende Praxis am Beispiel der 750-Jahr-Feiern in Ost- und West-Berlin. In: Wolfgang Kaschuba/Dominik Kleinen/ Cornelia Kühn (Hg.): Urbane Aushandlungen. Die Stadt als Aktionsraum. Berliner Blätter. Ethnographische und ethnologische Beiträge. Berlin 2015, S. 86-101
Dominik Kleinen
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Urbane Aushandlungen. Die Stadt als Aktionsraum. Berliner Blätter. Ethnographische und ethnologische Beiträge, H. 69/2015. Panama Verlag, Berlin
Wolfgang Kaschuba/ Dominik Kleinen/Cornelia Kühn (Hrsg.)
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Vom Wissen der Städte. Urbane Räume als Labore der Zivilgesellschaft. In: Wolfgang Kaschuba/Dominik Kleinen/Cornelia Kühn (Hg.): Urbane Aushandlungen. Die Stadt als Aktionsraum. Berliner Blätter. Ethnographische und ethnologische Beiträge, H. 69. Berlin 2015, S. 13-29
Wolfgang Kaschuba
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„The battle for the streets of Notting Hill“. Aushandlungen um den Notting Hill Carnival in London 1975-1977. In: Wolfgang Kaschuba/Dominik Kleinen/Cornelia Kühn (Hg.): Urbane Aushandlungen. Die Stadt als Aktionsraum. Berliner Blätter. Ethnographische und ethnologische Beiträge. Berlin 2015, S. 124-145
Cornelia Kühn