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Operative Basis, Praxis, Theorie und Ethik landschaftsbezogener Disziplinen

Antragsteller Dr. Karsten Berr
Fachliche Zuordnung Städtebau/Stadtentwicklung, Raumplanung, Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Landschaftsplanung
Förderung Förderung von 2011 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 203267182
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Als kulturtheoretische Grundlage landschaftsbezogener Disziplinen konnte allgemein gesprochen die "operative Basis" der bewohnten, bewohnbar zu gestaltenden und bewohnbar zu erhaltenden Welt rekonstruiert werden. Damit sind die grundlegenden lebensweltlichen Handlungen und Zwecksetzungen in entsprechenden Praxen angesprochen, die in wissenschaftlichen Disziplinen zu Grundbegriffen "hochstilisiert" werden können. Der in diesem Sinne erforderliche Rückgang auf eine Lebenswirklichkeit vor aller Theorie und Wissenschaft im Sinne proto-theoretischer Anfangsgründe konnte handlungstheoretisch rekonstruiert und daher an den grundlegenden vor-theoretischen Handlungen fachspezifischer Handlungsroutinen (Praxen) festgemacht werden - und zwar an der Gestaltung einer städtischen oder ländlichen Umwelt zu bewohnbaren Gärten, urbanen Freiräumen und Landschaften. In Anknüpfung an Wolfgang Kluxen konnte "Bauen" als umfassende Tätigkeit verstanden werden, durch die sich Menschen ihre natürliche Umgebung aneignen und zu einer bewohnbaren Welt gestalten. Alle Projektaspekte gründen daher auf dem Theorem einer für Menschen bewohnbaren Welt, an deren Gestaltung die raum- und landschaftsbezogenen Disziplinen mitzuwirken haben. Der philosophische Rahmen ist daher eine "Philosophie der bewohnten Welt", die ein weites Feld von Anschlussforschungen und Anwendungsaspekten erschließt. Die von Ulrich Eisel beschriebene, vermeintlich nicht integrierbare Ausdifferenzierung der Landschaftsarchitektur in die drei grundlegenden Traditionen und Paradigmen der Landschaftsplanung, der Freiraumplanung und der Landschaftsarchitektur im engeren Sinne einer Objektplanung kann nach Maßgabe ihrer lebensweltlich-kulturellen Funktion - nämlich der "Bewohnbarmachung" der Welt und der Vermittlung von Natur - innerhalb der Disziplin pragmatisch integriert werden. In dieser Doppelfunktion besteht das Alleinstellungsmerkmal der Landschaftsarchitektur. Der Entwurf erwies sich gegen Eisel, der die Integrationsleistung des Entwurfs in einer Brückenfunktion zwischen Natur und Sozialem ausschließlich ästhetisch bestimmt, proto-theoretisch und in Anknüpfung an den Handlungsbegriff von Aristoteles als Integration epistemischen (Theorie), sittlichen (Praxis) und herstellenden (Poiesis) Handelns. Dies ist zugleich eine Gegenposition zu Autoren, die gegenwärtig das Entwerfen einseitig als Erkenntnis- oder gar Forschungsmedium bestimmen. Mit diesem "protheoretischen Unterbau" der Landschaftsarchitektur und anderer raum- oder landschaftsbezogener Disziplinen erschließt sich ein umfangreiches Forschungsfeld, das der gegenwärtig zu beobachtenden "Vorherrschaft des Epistemologischen" (Charles Taylor) in den Architekturwissenschaften eine Alternative entgegenstellen kann. Im Rahmen eines von der DFG geförderten Workshops zu Möglichkeiten und Chancen von Landschaftsarchitekturtheorie zeigte sich überraschenderweise deutlich, dass der Anstoß zu einer erneuten Diskussion um Sinn und Zweck von Landschafsarchitekturtheorie von den Teilnehmern goutiert und entsprechend weitere Aktivitäten und Forschungen abgesprochen werden konnten. Die ausgewiesene operative Basis konnte auch für das vortheoretisch-lebensweltliche Phänomen Landschaft, für landschafts- oder gartenästhetische Kategorien, für den wissenschaftlichen Begriff "Landschaft" (wie auch den Begriff "Stadt") und die ethische Dimension menschlicher Gestaltungseingriffe in die bebaute und unbebaute Umwelt fruchtbar verwendet werden. Es ließ sich zeigen, dass die Kriterien für das konkrete Zusammenwirken von Theorie, Poiesis und Praxis als Aspekte eines Entwurfshandelns nur angesichts eines konkreten Gestaltungsauftrags überhaupt erst und immer wieder jeweils neu errungen und legitimiert werden müssen und können. Die Vermittlungsleistung des Entwerfens ist damit auch an die evaluative Frage gebunden, in welcher Welt wir wohnen und leben wollen und kann nur im Rahmen durchaus mühseliger Aushandlungsprozesse pragmatisch entschieden und gerechtfertigt werden. Mit der dann gebotenen Reflexion auf normative (moralische, evaluative und konative) Handlungsorientierungen und Weltbilder öffnet sich das weite Feld einer Ethik der Technik, der Architektur, Landschaftsarchitektur und Raumplanung sowie des Entwerfens. Eine auf diese Weise fundierte Architektur- und Planungsethik kann der moralischen Integrität der Architekten und Planer Rechnung tragen und wird somit nicht als paternalistisches Bevormundungs-, sondern als Reflexions- und Aufklärungsinstrument modelliert. Hier erwies sich allerdings auf der Basis der erzielten Ergebnisse als bleibendes Forschungs- und Umsetzungsdesiderat die institutionelle Stützung und Gewährleistung architektur- und planungsethischer Aspekte in der Praxis des Bauens, Planens und Gestaltens, die sich insbesondere der im Vorfeld eines je von der DFG geförderten Rundgesprächs und Workshops überraschend zeigenden Abwehrhaltung vieler Praktiker gegen ethische Reflexionen zu stellen hat. Während eines von der DFG geförderten Workshops zur "Transdisziplinären Landschaftsforschung" ergab sich nicht nur die gemeinsame Einschätzung, diese Forschung voranzutreiben. Es wurde überraschenderweise auch die Institutionalisierung transdisziplinärer Landschaftsforschung - etwa an einer Akademie - angesprochen und gefordert. Hier eröffnet sich somit eine weitere Anwendungsperspektive des Projekts, und zwar auf der Ebene der Wissenschafts- und Forschungsorganisation.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2013): Hegel über Gartenkunst. Ein Aktualisierungsversuch, in: Kunst – Religion – Politik. Hrsg. von A.P. Olivier und E. Weisser-Lohmann (Fink-Verlag), S. 151-161
    Berr, K.
  • (2013): Wahrheit und „Möglichkeitssinn“. Hegels Ästhetik im Kontext moderner Kultur, in: Kunst, Ästhetik, Philosophie. Im Spannungsfeld der Disziplinen. Hrsg. von Hans Friesen und Markus Wolf (mentis-Verlag) 2013, S. 129-168
    Berr, K.
  • (2014): Landschaft, Kultur und Ethik. Zur operativen Basis einer Philosophie der bewohnten Welt. Sektionsbeitrag auf dem XXIII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Philosophie in Münster 2014
    Berr, K.
  • (2014): Zum ethischen Gehalt des Gebauten und Gestalteten, in: Ausdruck und Gebrauch. Wissenschaftliche Hefte für Architektur Wohnen Umwelt. 12. Heft: Positionen einer Architektur- und Planungsethik, hrsg. von Achim Hahn, Aachen (Shaker-Verlag), S. 30-56
    Berr, K.
  • (2015): Philosophie und Landschaftsarchitektur, in: Karsten Berr, Jürgen H. Franz (Hrsg.): Prolegomena – Philosophie, Natur und Technik (Philosophie, Naturwissenschaft und Technik, Bd. 1), Berlin: Frank & Timme, S. 203-218
    Berr, K.
  • (2016): Stadt und Land(schaft). Ein erweiterter Blick mit dem „zweyten Auge“ auf ein fragwürdig gewordenes Verhältnis, in: Karsten Berr, Hans Friesen (Hrsg.): Stadt und Land. Zwischen Status quo und utopischem Ideal, Münster (mentis Verlag), S. 75-117
    Berr, K.
  • (2016): Stadt und Land. Zwischen Status quo und utopischem Ideal, Münster (mentis Verlag)
    Berr, K. & Friesen, H. (Hrsg.)
  • (2017): Architektur- und Planungsethik. Zugänge, Perspektiven, Standpunkte. Wiesbaden: Springer VS
    Berr, K. (Hrsg.)
  • (2017): „Poietische Vernunft“ und Entwerfen, in: Jürgen H. Franz, Karsten Berr (Hrsg.): Welt der Artefakte (Philosophie, Naturwissenschaft und Technik, Bd. 4). Berlin: Frank & Timme, S. 173-184
    Berr, K.
  • Landschaftsarchitekturtheorie. Aktuelle Zugänge und Positionen. Wiesbaden: Springer VS, 2018, VI, 235 S.
    Berr, K. (Hrsg.)
 
 

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