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Städtebau der Normalität - Zum Wiederaufbau urbaner Stadtquartiere im Ruhrgebiet

Fachliche Zuordnung Architektur, Bau- und Konstruktionsgeschichte, Bauforschung, Ressourcenökonomie im Bauwesen
Förderung Förderung von 2011 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 203817353
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt belegt die These, dass es im „Alltag“ des Wiederaufbaus innenstadtnaher Wohn- und Gewerbeviertel im Ruhrgebiet eine Vielzahl von explizit konventionellurbanen Lösungen gegeben hat, welche die gebaute Realität der Region ebenso prägen wie die bekannten Modelle des Siedlungsbaus und der Stadtlandschaft sowie der verkehrsgerechten und der funktionszonierten Stadt. Der Wiederaufbau dieser als Stadterweiterungen entstandenen Quartiere des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die meist mit Blockrandbebauung auf Einzelparzellen mit traditioneller Funktionsmischung und architektonischer Stadtraumbegrenzung operierten, folgte nicht allein städtebaulichem Pragmatismus, sondern entsprach auch einem formulierten Leitbild der konventionellen Stadt, das – im Unterschied zu avantgardistischen und traditionalistischen Leitbildern – behutsame Modernisierung mit einschloss. Diese städtebauliche Praxis ging zumeist einher mit Kontinuitäten im bestehenden Stadtgrundriss, Beibehaltung der Funktionsmischung sowie Modernisierungen in der architektonischen Formensprache. Das Projekt dokumentiert elf Beispiele dieser „normalen“ dichten Stadtviertel als Beispiele eines konventionellen Städtebaus, der spezifisch urbane Quartiere im Wiederaufbau der Ruhrgebietsstädte schuf. Anhand der Forschungsergebnisse lassen sich in den untersuchten Stadtvierteln mehrere Phasen des Wiederaufbaus ausmachen, die einen Wandel im Anspruchsdenken und Selbstverständnis handelnder Personen sowie neuer funktionaler Anforderungen an den Stadtraum widerspiegeln. In den kleinteiligen, dichten, innenstadtnahen Lagen der Untersuchungsgebiete lässt sich eine vielschichtige Eigentümerstruktur nachweisen, deren Wiederaufbauinteresse durch individuelle Verwertungsinteressen motiviert war und in einem komplexen Koordinationsbedarf in der Abwägung von individuellem Bauwillen und übergeordneten Gestaltungszielen resultierte. Gerade diese Interessensvielfalt trug wesentlich zum urbanen Charakter dieser Quartiere bei. Obgleich deutlich wurde, dass Wiederaufbauentscheidungen häufig von Pragmatismus geprägt waren, überzeugt die Vielfalt individueller Lösungen. Dennoch kam es nicht zum Wiederauferstehen des heterogenen, kleinteiligen Stadtbildes der Vorkriegszeit, sondern ließ sich durchgehend eine Tendenz zur Vereinheitlichung und Zusammenfassung zu größeren Einheiten feststellen. In allen Quartieren kam es zu Anpassungen des Stadtgrundrisses der Vorkriegszeit. Dies zeigt das Bemühen der Verwaltung, den Stadtgrundriss insbesondere an gestiegene Verkehrsbedürfnisse (Hierarchisierung des Straßennetzes) anzupassen und zugleich anspruchsvolle städtische Räume (Grünflächen, Platzanlagen) zur Verbesserung der städtebaulichen Qualität anzulegen. Daran lässt sich die Entwicklung der verbindlichen planungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau und damit die Entstehung relevanter Planungsgrundlagen und –entscheidungen ablesen, die bis in die heutige Zeit wirken. Die breite Untersuchung von Einzelobjekten hat gezeigt, dass der Wiederaufbau von zahlreichen bisher weniger bekannten lokalen Architekten und Baumeistern getragen wurde, nur selten erfolgten Aufträge an auswärtige, bekanntere Architekten. Die systematische Beschreibung der ausgewählten Objekte leistet damit einen wichtigen Beitrag zur regionalen Architekturgeschichte. Mit diesem Projekt liegen erstmalig quellenbasierte Untersuchungen zu dieser Art von Quartieren der Wiederaufbauzeit vor und stehen der weiteren Forschung zur Verfügung. Es konnte aufgezeigt werden, dass der konventionelle Städtebau nicht allein pragmatisch den äußeren Bedingungen folgte, sondern dass sich – auch überregional in den Bauzeitschriften – ein Diskurs festmachen ließ, der es erlaubt, auch den konventionellen Städtebau als ein dezidiertes Leitbild des Wiederaufbaus zu fassen. Ein weiterer innovativer Aspekt des Projekts besteht in seiner Absicht, hermeneutische Geschichtsschreibung mit erhaltungs- und somit zukunftsrelevanten Themen zu verbinden. Damit soll eine wissenschaftliche Grundlage für den zukünftigen Umgang mit solchen Mischquartieren geschaffen und mit der Bandbreite der vorgestellten Beispiele und Definition ihrer Qualitäten zum Erhalt baukultureller Qualitäten und zur Aufwertung des explizit Städtischen beigetragen werden. Mit der Zusammensicht der Fallbeispiele werden die Historiographie des Nachkriegsstädtebaus im Ruhrgebiet sowie die Diskussion um aktuelle Leitbilder des Städtebaus, die Qualität urbaner Stadträume und quartiersbezogener Ansätze um eine entscheidende Facette erweitert.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • "Ästhetische Nachhaltigkeit – die notwendige Schönheit der Stadt", in: Maria Luise Hilber, Götz Datko (Hrsg.), Stadtidentität der Zukunft. Wie uns Städte glücklich machen, Berlin 2012, S. 83-93
    Wolfgang Sonne
  • Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt 2. Stadt und Energie. Stadt und Handel, Sulgen: Niggli 2012
    Christoph Mäckler, Wolfgang Sonne (Hg.)
  • "Kultur der Urbanität. Die dichte Stadt im 20. Jahrhundert", in: Lukas Imhof, Midcomfort. Wohnkomfort und die Architektur der Mitte, Wien 2013, S. 105-115
    Wolfgang Sonne
  • "Stadtbaukunst - ein komplexes Konzept des Städtebaus um 1910 und heute", in: Wüstenrot Stiftung (Hrsg.), Nachdenken über Städtebau. Bausteine für eine Interpretation im 21. Jahrhundert, Berlin 2013, S. 23-35
    Wolfgang Sonne
  • "Von wegen Zwischenstadt. Die Kontinuität architektonisch gestalteter öffentlicher Räume in der Stadt des 20. Jahrhunderts", in: Katholische Akademie Schwerte, Stadt Arnsberg (Hrsg.), Baukultur in Arnsberg. Architektur und regionale Identität, Arnsberg 2013, S. 128-131
    Wolfgang Sonne
  • Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt 3. Stadt und Architektur. Stadt und Planung, Sulgen: Niggli 2013
    Christoph Mäckler, Wolfgang Sonne (Hg.)
  • "Die normale Stadt als Projekt", in: Christoph Mäckler, Wolfgang Sonne (Hrsg.), Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt 3. Die normale Stadt und ihre Häuser, Sulgen: Niggli 2014, S. 26-37
    Wolfgang Sonne
  • "Stadtbaukunst. Die Disziplin Städtebau als kulturelles Projekt", in: Vittorio Magnago Lampugnani, Katia Frey, Eliana Perotti (Hrsg.), Anthologie zum Städtebau, Band II.I, Das Phänomen Großstadt und die Entstehung der Stadt der Moderne, Berlin 2014, S. 93-181
    Wolfgang Sonne
  • Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt 4. Die normale Stadt und ihre Häuser, Sulgen: Niggli 2014
    Christoph Mäckler, Wolfgang Sonne (Hg.)
  • Urbanität und Dichte im Städtebau des 20. Jahrhunderts, Berlin: DOM publishers 2014
    Wolfgang Sonne
  • „Städtebau der Normalität. Der Wiederaufbau urbaner Stadtquartiere im Ruhrgebiet“. Berlin: DOM publishers 2018. 320 S., 350 Abbildungen, ISBN 978-3-86922-616-3
    Wolfgang Sonne und Regina Wittmann (Hrsg.)
 
 

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