Ermüdungsrisswachstum bei variabler Amplitudenbelastung und negativen Spannungsverhältnissen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Analytische Rissausbreitungsmodelle zur Berücksichtigung von Reihenfolgeeffekten basieren sehr häufig auf der Beschreibung der Verzögerung einer einzelnen Überlast, die in ein konstantes Grundlastniveau mit positiven Spannungsverhältnissen eingestreut wird. Das bedeutet, dass die damit erstellten Restlebensdauerprognosen bei negativen Spannungsverhältnissen ein hohes Potential an Unsicherheit beinhalten. Im Rahmen der zweiten Förderphase des Projekts wurde deshalb der Einfluss von Druckbelastungen auf das transiente Risswachstumsverhalten bei variabler Amplitudenbelastung untersucht. Dazu wurden zunächst die Auswirkungen diverser – Unterlast(en) beinhaltender – Lastsequenzen hinsichtlich des Verzögerungs-/ Beschleunigungseffekts experimentell ermittelt. Es zeigte sich, dass der Einfluss einzelner Unterlasten zwar nahezu vernachlässigbar ist, sich im Zusammenhang mit Überlasten vor oder nach der Unterlast jedoch signifikante Auswirkungen ergeben. So kommt es hier zu deutlichen Verzögerungsminderungen und verkürzten Restlebensdauern. Außerdem konnte festgestellt werden, dass Unterlasten in der Lage sind, Rissstillstand vor dem Eintreten zu verhindern und nach dem Eintreten aufzuheben. Die Verzögerungsminderung durch Unterlasten wurde hinsichtlich verschiedener Einflussgrößen untersucht. Es zeigte sich, dass die Unterlastwirkung bei Kmax,Bl = konst. mit dem R-Verhältnis steigt. Eine Variation des Unterlastniveaus ergab, dass für signifikante Einflüsse ausreichende Drucklasten erforderlich sind. So sind bei betragsmäßig geringem Niveau auch die Auswirkungen mehrerer, aufeinanderfolgender Unterlasten eher gering. Bei größeren Drucklasten führt eine Steigerung der Unterlastanzahl nUL hingegen zu einer bedeutenden, weiteren Verzögerungsminderung, die sich jedoch unterproportional zu nUL verhält. Untersuchungen, bei denen einzelne Unterlasten im Abstand ∆aOLUL nach einer Überlast aufgebracht wurden, zeigten, dass der Unterlasteinfluss mit steigendem ∆aOLUL abnimmt. Bei ∆aOLUL = ωOL stimmen die Verzögerungsparameter der OL/UL-Folge schließlich mit denen der reinen Überlast überein. In diversen elastisch-plastischen Finite Elemente Analysen ließ sich feststellen, dass sich die meisten Reihenfolgephänomene vereinfachter Lastsequenzen mithilfe des plastizitätsinduzierten Rissschließens begründen lassen. Eine Ausnahme stellt die verzögerungsmindernde Wirkung einer Unterlast vor einer Überlast dar. Außerdem konnte numerisch gezeigt werden, dass die zyklische Belastung der Rissspitze bei negativen Spannungsverhältnissen nicht mit Kmax und R, sondern mit Kmax und σtip korreliert. Untersuchungen zum zyklischen Materialverhalten ergaben, dass sowohl das Ratchetting als auch die Werkstoffver- bzw. -entfestigung lediglich einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Rissöffnungslast besitzen. Des Weiteren wurde mit der analog zu σtip definierten Größe σtip,T der Einfluss der Mehrachsigkeit bei negativer Beanspruchung numerisch geprüft. Während sich beim ebenen Spannungszustand lediglich geringe Auswirkungen ergeben, kann es unter den Bedingungen des ebenen Verzerrungszustands zur deutlichen Beeinflussung des Rissöffnens kommen, wodurch davon ausgegangen werden kann, dass σtip,T bei dicken Bauteilen durchaus eine entscheidende Rolle für das Risswachstum spielen kann. Mithilfe von dreidimensionalen Analysen konnte festgestellt werden, dass sich Über- und Unterlasten im Probeninneren stärker auf die Rissöffnungslast auswirken. Experimentelle Rissöffnungsmessungen bestätigten die bereits numerisch aufgezeigten Einflüsse verschiedener Lastsequenzen auf das Öffnungsverhalten. So zeigten sowohl Über- als auch Unterlasten eine Beeinflussung des Rissöffnungsniveaus. Außerdem konnten Auswirkungen auf die Verläufe der Compliance Offsets ermittelt werden, die sich durch das partielle Rissschließen begründen lassen. Da es in der Literatur Hinweise zum Einfluss von Unterlasten auf die Mikrostruktur gibt, wurde außerdem eine FIB-Untersuchung durchgeführt, die jedoch keine bedeutsamen Erkenntnisse lieferte. Zur Restlebensdauerabschätzung wurde das Fließstreifenmodell von Newman (1981) zur Berücksichtigung von σtip als Größe zur Quantifizierung lokaler Druckbeanspruchungen modifiziert. Das angepasste Modell zeigte eine sehr gute Übereinstimmung mit experimentellen Ergebnissen bei konstanter Amplitudenbelastung. Entgegen den Erwartungen ist es jedoch in der originalen Form nach nicht in der Lage, transiente Effekte einzelner, abweichender Lastwechsel zu erfassen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2019) An experimental investigation on the fatigue crack growth behaviour of AISI/SAE 1045 under load sequences containing underloads. Fatigue Fract Eng Mater Struct (Fatigue & Fracture of Engineering Materials & Structures) 42 (4) 818–826
Richter, Hannes; Sander, Manuela
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Crack Closure at variable Amplitude Loading: Discussion on the applicability. ESIS TC1 Workshop on crack closure. Porto, 2013
Benz, C.; Sander, M.
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Konvergenzuntersuchungen für die Simulation der Ermüdungsrissausbreitung bei variabler Amplitudenbelastung mittels der Finite Elemente Methode. In: 45. Tagung DVM-Arbeitskreis Bruchvorgänge und Bauteilsicherheit, DVM-Bericht 245, Berlin, 2013, S. 197-206
Benz, C.; Sander, M.
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Experiments and interpretations of some load interaction phenomena in fatigue crack growth related to compressive loading. In: Advanced Materials Research 891-982, 2014, S. 1353-1359
Benz, C.; Sander, M.
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Fatigue crack growth testing at negative stress ratios – Discussion on the comparability of testing results. In: Fatigue & Fracture of Engineering Materials & Structures 37, 2014, S. 62-71
Benz, C.; Sander, M.
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Bewertung negativer Lastanteile bei der Ermüdungsrissausbreitung. Dissertation Universität Rostock, Verlag Dr. Hut, München, 2015
Benz, C.
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Reconsiderations of fatigue crack growth at negative stress ratios: Finite element analyses. In: Engineering Fracture Mechanics 145, 2015, S. 98-114
Benz, C.; Sander, M.
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Experimentelle Rissfortschrittsuntersuchungen zur Überund Unterlastkombinationen. In: 49. Tagung DVM-Arbeitskreis Bruchvorgänge und Bauteilsicherheit, DVM-Bericht 249, Mittweida, 2017, S. 227-236
Richter, H.; Sander, M.