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Kirchenherrschaft als Aushandlungsprozess. Die Arbeit des Konsistoriums im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel von 1568 bis 1617

Antragsteller Dr. Arne Butt
Fachliche Zuordnung Frühneuzeitliche Geschichte
Förderung Förderung von 2011 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 206456470
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt verfolgte das Ziel, Funktion und Bedeutung eines territorialen frühneuzeitlichen Kirchenleitungsgremiums bei der Ausübung kirchenherrschaftlicher Rechte und der Vermittlung kirchlicher Normen zu untersuchen. Das gewählte Fallbeispiel, das Konsistorium im welfischen Teilfürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, ermöglichte es, anhand einer außergewöhnlich dichten Protokollüberlieferung den Fokus auf die alltägliche Arbeit der Kirchenleitung zwischen 1568 - der Einführung der Reformation im Territorium - und 1617 zu richten. Ausgehend von der These, dass sich in den Protokollen die Wahrnehmung der Kirchenherrschaft als teilweise ergebnisoffener Aushandlungsprozess widerspiegelt, in dessen Verlauf es in der Kommunikation aller Beteiligter zur fortwährenden Neuvermessung der Kompetenzen, der angewandten Normen und der Durchsetzungskraft des Konsistoriums kam, wurden die im Rahmen der Sitzungen ablaufenden internen und die das Zusammenwirken mit anderen Institutionen und Machtträgern betreffenden externen Aushandlungsprozesse analysiert. Das Konsistorium stellte zwar ein neues, in seiner Art jedoch kein innovatives Element der wolfenbüttelschen Zentralverwaltung dar, da es sich in deren Charakteristik - fehlende institutionelle Abgrenzung, starke personelle Verquickung, Ad-hoc-Gremien, starkes persönliches Regiment des Fürsten - nahtlos einfügte. Die ihm gemäß Kirchenordnung zugedachten Aufgaben nahm das Kirchenleitungsgremium wahr und entwickelte dabei geregelte Verfahrensabläufe, die ein Hauptaugenmerk auf die persönliche Anhörung von Prozessbeteiligten resp. Beschuldigten legten. Die Verhandlungsführung der Konsistorialräte ist dabei maßgeblich auf das Ausloten von Kompromissen gerichtet, da z. B. in Disziplinarangelegenheiten eine strikte Anwendung der Normen nicht durchsetzbar war und in Partei- und Ehesachen zur Vermeidung eines ordentlichen Prozesses mit letztlich externer Urteilsfindung eine Streitbeilegung im Güteverfahren angestrebt wurde. Das Konsistorium litt jedoch teilweise unter einer eklatanten Entscheidungsschwäche, die auch durch die nur graduell ausgeprägte Hierarchie innerhalb des Gremiums bedingt war: Es entwickelte keine Verfahren zur Entscheidungsfindung, die Urteile auch dann ermöglichten, wenn unter den Konsistorialräten Meinungsunterschiede auftraten. Die Folge war häufig die Verlagerung der Entscheidung in die Sphäre des Herzogs bzw. der weltlichen Administration, die auch sonst in wichtigen Angelegenheiten des Kirchenwesens, v. a. wenn die herzogliche Ehre als Landesherr bedroht erschien, routinemäßig in die Entscheidungsfindung einbezogen wurde, bis zur Wende zum 17. Jahrhundert sogar institutionalisiert in den vierteljährlich stattfindenden Generalkonsistorien. Erst mit dem teilweisen Rückzug der Herzöge aus dem persönlichen Regiment wurde dieses Gremium obsolet, doch die Arbeitsabläufe des Konsistoriums blieben weiterhin auf eine Kooperation mit der weltlichen Administration ausgerichteL Überraschend war zum einen, dass trotz der virulenten innerprotestantischen Auseinandersetzungen um die Lehrmeinung im Untersuchungszeitraum vom Konsistorium selbst keine Impulse in den Debatten ausgingen. Zum anderen ist es bemerkenswert, dass das Kirchenleitungsgremium keine Anstrengungen unternahm, seinen Aktionsradius gegenüber dem Fürsten resp. der weltlichen Administration auszuweiten, sondern von sich aus zur Vermeidung weiterer Konflikte diese Akteure einbezog und damit gleichzeitig eine Steigerung der Akzeptanz für die letztendlich gefällten Entscheidungen verband.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Norm und Praxis im frühneuzeitlichen Kirchenwesen. Die Superintendenten im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 150 (2014), S. 357-397
    Arne Butt
  • Von Angesicht zu Angesicht: Eherecht und Ehegerichtsbarkeit im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel vor dem 30-jährigen Krieg, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 112 (2014), S. 51-74
    Arne Butt
  • „Wir sehen nicht gerne Unordnung“. Protestantische Kirchenleitungsmodelle und Ordnungsprinzipien in Konsistorialordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Irene Dingel / Armin Kohnle (Hrsg.), Gute Ordnung. Ordnungsmodelle und Ordnungsvorstellungen in der Reformationszeit (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 25), Leipzig 2014, S. 49-64
    Arne Butt
  • Herrschaft über Kirche, Herrschaft durch Kirche. Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg vor dem 30-jährigen Krieg, in: Niedersächsisches Jahrbuch 88 (2016), S. 23-72
    Arne Butt
 
 

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