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Das U.S.-amerikanische Filmprojekt zum Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess: Ein Beitrag zur politischen Kultur Nachkriegsdeutschlands.

Fachliche Zuordnung Theater- und Medienwissenschaften
Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2011 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 207543990
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Der erste Ertrag des Forschungsprojekts besteht sicherlich in der Recherche und Erfassung der von den US-Behörden erstellten filmischen Überlieferung zum ersten völkerstrafrechtlichen Verfahren und dessen Systematisierung und Erschließung. Es liegt nun erstmalig eine zusammenhängende Untersuchung darüber vor, welche Filmaufnahmen vom Prozess hergestellt, welche Filme vom und für den Prozess produziert wurden. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde somit eine validierte und systematisierte Materialsammlung erstellt. Diese erstreckt sich über sämtliche filmischen Quellen (inklusive des von der Anklagebehörde genutzten Filmmaterials) hinaus gehend auch auf alle relevanten Akten, so diese zum Zeitpunkt des Abschlusses unseres Projekts zugänglich bzw. überliefert waren. Die Perspektive, diese Materialsammlung einem breiten Laien- wie Fachpublikum mittels eines onlinebasierten Datenbanksystems verfügbar zu machen, stellt über den neuen Forschungsstand hinausgehend einen Anwendungsaspekt in Aussicht, der gerade im Hinblick auf aktuelle Debatten, die völkerstrafrechtliche Phänomene sowie den Einsatz der Massenmedien im Überwindungsstadium von Massengewalt und Krieg betreffen, besondere Relevanz erfährt. Vor allem ist hier an den Bereich der politischen Bildung zu denken. Populäre Darstellungen haben Ansichten, Erklärungen und – sich im Lauf der Zeit wandelnde – ‚Narrative‘ über die Zeit des Nationalsozialimus in den deutschen Nachkriegsgesellschaften etabliert. Besonders im Westen war auch ein Bezug zum IMT daran beteiligt – im vereinten Deutschland dann ab 1990 stark zunehmend. Das US-Filmprojekt hat in diesem Zusammenhang dazu beigetragen, uns mit einem Bildkanon zu versorgen, der wesentlich die Vorstellungsbilder über den NS formte. Bilder von der sogenannten ‚Machtergreifung‘, vom Boykott jüdischer Geschäfte, von Nazigrößen und vom Krieg; Bilder der Verbrechen, ihrer Ahndung und der Haupttäter – diese ikonografischen Bilder präfigurieren durch ihre Auswahl und Zusammenstellung, durch ihre Inszenierung und Ästhetik ganz wesentlich die Vermittlungsmöglichkeiten in den audiovisuellen Massenmedien. Sie legen bestimmte Interpretationen vielleicht nicht fest, aber doch nahe. Die im Forschungsprojekt erarbeitete Aufschlüsselung der Inszenierungsdimensionen erlaubt die Vertiefung von Medienkompetenzen im Umgang mit diesen Filmbildern und der durch sie geleisteten Vermittlung. Die Untersuchung der administrativen Facetten des Projekts eröffnete schließlich Einsichten in die Dimensionen, die eine solche politische Kampagne annehmen konnte. Sie erwies, mit welchen Kalkülen zeitgenössisch neuartigen innen- wie außenpolitischen Herausforderungen mittels des Mediums Film begegnet wurde. Sie zeigt aber auch auf, wie anfällig eine Kampagne sein kann, wenn Kompetenzen verteilt bzw. unklar zugeordnet sind und wie sehr politische Kommunikationskampagnen durch die Aktualität anderer Ereignisse geschwächt werden können. Eine, wenngleich ‚erhoffte‘, Überraschung stellt das Maß dar, in dem die Filmkampagne in das IMT- bzw. Kriegsverbrecherverfolgungsprogramm der US-Seite intergiert war; das Maß, in dem Juristen und Ermittler die Filmproduktion forcierten und nutzten sowie das Maß, indem die Filmemacher investigative und juristische Schlüsselaspekte integrieren und unterstützen konnten. In diesem Zusammenhang verdient auch die organisatorische Homogenität herausgestellt zu werden: ‚Filmmenschen‘ haben sich nicht Juristen aufgedrängt, die jenen wiederwillig zustimmten. Besonders in den Personen des Anklagevertreters Jackson, seines Öffentlichkeitsspezialisten Dean und des Geheimdienstlers Donovan verkörperte sich die Einsicht in die Notwendigkeit, die angestrebten mittelbaren und Fernziele des Prozesses notwendigerweise auch mit den Mitteln der Massenkommunikation voranzutreiben. Von Anfang an, besonders im OSS, waren Abteilungen damit beschäftigt sowohl zum eigentlichen Kriegsverbrecherprozess beizutragen wie auch dessen Vermittlung zu ermöglichen. Es war ebenfalls einigermaßen unerwartet, dass trotz des Aufwands, der bei der Produktion und der Schaffung von Voraussetzungen betrieben wurde, ein nur vergleichsweise bescheidenes Ergebnis heraus kam. Letztlich war das Gesamtprojekt doch wesentlich ambitionierter angegangen worden als es dann verwirklicht wurde – hier wären die kurze und unzureichend geplante Aufführungsphase von "Nürnberg und seine Lehre" und die von Unterbrechungen gekennzeichnete Wochenschauberichterstattung hervorzuheben. Auch eine spätere Verwertung der über 2.000 Minuten Film seitens der US-Behörden hat (über die Archivierung hinausgehend) nicht mehr stattgefunden. Es hat während der Dauer des Projekts zahlreiche Anfragen von Pressevertretern gegeben. U.a. berichteten die Oberhessische Presse vom 13.4.2012 in einem ganzseitigen und das Marburger Uni-Journal in der Ausgabe vom Sommer/Herbst 2014 in einem vierseitigen Bericht über unser Forschungsprojekt. Durch die Erschließungsarbeiten an dem sog. Rohmaterial, den unveröffentlichten Filmmitschnitten vom Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, konnten wir der Gedenkstätte Ravensbrück einen Filmausschnitt benennen und zur Verfügung stellen, in dem eine ehemalige Insassin die Zustände in der Endphase des Lagers vor Gericht schildert. Der Ausschnitt ist mittlerweile Teil der Dauerausstellung. Zurzeit laufen des Weiteren Kooperationen mit Fernsehproduktionen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2014). Promoting International Criminal Law. The Nuremberg Trial Film Project and US Information Policy after the Second World War. In: Morten Bergsmo et al. (Hg.), Historical Origins of International Criminal Law. Volume I (S. 623-654). Brüssel
    Fischer, Axel
  • (2017): Das Nuremberg Trial Film Project: Inszenierung und Dokument. In: Heinze C., Weber T. (eds) Medienkulturen des Dokumentarischen. Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden, pp 413-427
    Fischer, Axel & Form, Wolfgang
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-14698-6_20)
 
 

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