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Der Wandel von Aurignacien zum Gravettien im Lichte wechselnder Formen der Mobilität. Vergleichende techno-ökonomische Analysen von Steingeräte-Inventaren

Antragsteller Dr. Luc Moreau
Fachliche Zuordnung Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Förderung Förderung von 2012 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 208271080
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Dieses Projekt verfolgt das Ziel, anhand ausgewählter Steingeräte-Inventare mittel- und nordwesteuropäischer Fundplätze aus der Zeit zwischen 36.000 und 31.000 Jahren vor heute, Einblicke in die Mobilität und Landschaftsnutzung frühjungpaläolithischer Jäger und Sammler in Zusammenhang mit der lithischen Rohmaterialversorgung zu gewinnen. Die soziale Bedeutung des untersuchten Zeitfensters für die Menschheitsgeschichte ergibt sich aus der Tatsache, dass in dieser Zeit, mit dem Einsetzen des Gravettien, erstmals eindeutige Belege für eine zeitweilige Sesshaftigkeit bzw. reduzierte Residenzmobilität überliefert sind. Dagegen sind uns aus der Zeit des Aurignacien komplexe Befunde, wie Bestattungen, oder eindeutige Behausungsstrukturen bislang nicht überliefert. Diese Begleiterscheinungen des Phänomens zeitweilig reduzierter Mobilität scheinen erst mit dem Gravettien in Erscheinung zu treten. Generell sind die kulturellen Veränderungen in der Zeit zwischen dem Aurignacien und dem Gravettien aufgrund von Überlieferungslücken am Ende des Sauerstoffisotopenstadiums 3 in ihrem Gesamtbild nur schlecht zu beurteilen. Siedlungsbefunde, die Rückschlüsse auf Änderungen der sozialen Organisation zulassen, sind oft nicht erhalten. Deshalb stellen Steinartefakte häufig die einzige Datenquelle dar, mittels derer eine Rekonstruktion vergangener kulturhistorischer Prozesse und menschlichen Verhaltens vorgenommen werden kann. Fünf der sechs ausgewählten Inventare – Maisières-Canal (B), Potočka zijalka (SLO), Willendorf II-4 und II-5 (AUT), Stratzing-Galgenberg (AUT), Friedrichsdorf-Seulberg (D) – stellen sorgfältig ausgegrabene Freilandfundstellen mit einem gesicherten chrono-stratigraphischen Kontext dar. Hinzu kommt, dass keines der hier untersuchten Inventare jemals nach einem einheitlichen Merkmalsystem und unter Einbeziehung der Rohmaterialherkunft aufgenommen wurde. Im Rahmen dieses Projekts wurden knapp 16.000 Steinartefakte aufgenommen. Zur Verdeutlichung der Mobilitätsstrategien zur Rohmaterialbeschaffung und -nutzung im Spätaurignacien bzw. im älteren Gravettien, wurde die Rohmaterialzusammensetzung der jeweiligen Inventare bestimmt; der Einfluss des Rohmaterials auf die technologische Organisation untersucht, sowie die Rohmaterialbeschaffungskosten unter Einbeziehung der Geländemorphologie zwischen Fundplatz und den jeweiligen Rohmaterialvorkommen mit Hilfe von ArcGIS modelliert. Darüber hinaus wurde in der Endphase des Projekts eine ursprünglich nicht geplante Pilot-Studie initiiert zur geochemischen Bestimmung von westbelgischen Feuerstein-Varianten mittels der Laser Ablation - Inductively Coupled Plasma - Mass Spectrometry (LA-ICP-MS) Methode. Geochemische Analysen von geologischen Proben und 35 Artefakten aus Maisières-Canal stellen die Gültigkeit der LA-ICP-MS Methode zur Charakterisierung von Feuerstein-Varianten unter Beweis. Die Ergebnisse der Pilot-Studie widersprechen der Hypothese, wonach der verwendete Feuerstein im älteren Gravettien von Maisières-Canal aus einem einzigen Vorkommen in 2 km Entfernung stammt, wie es der Ausgräber behauptet hatte. Stattdessen legen die erzielten Ergebnisse nahe, dass vielmehr verschiedene Feuerstein-Typen aus verschiedenen Vorkommen in einem Umkreis von ca. 10 km um den Fundplatz, vermutlich in Zusammenhang mit einer längeren Siedlungsdauer, genutzt wurden. Die drei Inventare von Friedrichsdorf-Seulberg, Stratzing und Willendorf II-4 verdeutlichen, dass sich bereits im Spätaurignacien Mitteleuropas in Zusammenhang mit der Lamellengewinnung an Kiel- bzw. Nasenkratzern oder Kielsticheln, ein zunehmender Anspruch an die Rohmaterialqualität bzw. eine größere Abhängigkeit von qualitativ hochwertigem, über größere Entfernungen beschafften Rohmaterial (hier der erratische „baltische“ Feuerstein), abzeichnet. Dieses Rohmaterialverhalten wurde bis dato erst mit dem darauffolgenden Gravettien in Verbindung gebracht. Das weitgehende Fehlen von intermediären Rohmaterialien zwischen den nächsten Vorkommen des erratischen Feuersteins und den vorhin genannten Fundplätzen lässt auf einen hohen Mobilitätsgrad der spätaurignacienzeitlichen Jäger- und Sammler schließen. Dagegen fügt sich die deutlich stärkere Ausnutzung der näheren und weiteren Umgebung des Fundplatzes im Fall von Maisières-Canal und Willendorf II-5, gemessen am Rohmaterial- und Werkzeuganteil der lokal und regional verfügbaren lithischen Ressourcen, in das Gesamtbild einer reduzierten Residenz-mobilität bzw. längeren Siedlungsdauer im älteren Gravettien. Die Modellierung der Geländemorphologie in der Mitteldonau-Region stellt unter Beweis, dass der Schwierigkeitsgrad des Geländes (terrain difficulty) zwischen Rohmaterialvorkommen und Fundplatz besser geeignet ist als Entfernung, um die Rohmaterialanteile in den jeweiligen Inventaren von Stratzing-Galgenberg sowie Willendorf II-4 und II-5 vorherzusagen. Tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass die längste Route hin zu den Feuerstein-Vorkommen im Bereich der Mährischen Pforte zugleich die kostengünstigste Route (in Kcal per Kilometer) darstellt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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