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Interaktive Bedingungen Unterstützter Kommunikation bei schwerer Infantiler Cerebralparese (ICP)

Antragsteller Professor Dr. Peter Auer
Fachliche Zuordnung Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Experimentelle Linguistik, Typologie, Außereuropäische Sprachen
Förderung Förderung von 2011 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 209089666
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Unter welchen Umständen nutzen Menschen mit starken sprachlichen Beeinträchtigungen elektronische Kommunikationshilfen und wann greifen sie auf körpereigene Interaktionsressourcen zurück? Was sind die Ursachen für den oft beklagten, eher geringen Einsatz elektronischer Hilfsmittel in natürlichen Gesprächssituationen? Anhand der qualitativen Untersuchung natürlicher Interaktionssituationen zwischen unterstützt Kommunizierenden und ihren sprachgesunden Interaktionspartnern konnte im Projekt „Interaktive Bedingungen Unterstützter Kommunikation bei schwerer Infantiler Cerebralparese (ICP)“ gezeigt werden, dass der Einsatz der verschiedenen Ressourcen vor allem durch zwei Motivationen zu erklären ist, nämlich 1. durch die veränderte Interaktionssituation und 2. durch die Erwartungen der Interaktionspartner. Veränderte Interaktionssituation: Die elektronische Kommunikationshilfe ist nicht einfach die „künstliche Stimme“ des Anwenders, sondern stellt einen weiteren Mitspieler in der Interaktion dar, mit eigenen (technischen) Voraussetzungen. Diese technischen Voraussetzungen führen zu teilweise weitreichenden Veränderungen in der face-to-face Interaktion. Neben Veränderungen in den Teilnehmerrollen und dem Blickverhalten der Teilnehmer hat der Einsatz elektronischer Hilfsmittel vor allem Auswirkungen auf die Temporalität: Die Gespräche werden verlangsamt. Der Einsatz elektronischer Hilfen entspricht damit nicht der Präferenz für Schnelligkeit gesprochener Sprache. Aus diesem Grund setzen unterstützt Kommunizierende ihre Hilfen in der Regel ökonomisch ein, d.h. nur so oft und so viel, dass sie (je nach sequentiellem Kontext und kommunikativer Aufgabe) verstanden werden. Der ökonomische Einsatz maschineller und körperlicher Ressourcen stellt also eine Lösungsstrategie dar, um den verschiedenen interaktionalen Anforderungen (schnell zu sein und verstanden zu werden) gerecht zu werden. Erwartungen der Interaktionspartner: Unterstützt Kommunizierende werden jedoch nicht nur mit den Anforderungen sprachlicher Interaktion konfrontiert, sondern auch mit den Erwartungen ihrer sprachgesunden Interaktionspartner. Diese Erwartungen entsprechen häufig nicht dem ökonomischen Einsatz der interaktionalen Ressourcen, sondern zielen stattdessen auf einen grundsätzlichen und umfangreichen Einsatz der Hilfe ab. Die beiden grundlegenden Motivationen für den Gebrauch der verschiedenen Ressourcen kollidieren also häufig miteinander: Während die veränderte Interaktionssituation zu einem Abwägen zwischen Verstehenssicherung und einer Präferenz für Schnelligkeit und damit zu einem ökonomischen Einsatz der Modalitäten führt, widersprechen die Erwartungen der Partner meist einem ökonomischen Gebrauch. Ihren individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen entsprechend, erarbeiten die unterstützt Kommunizierenden zusammen mit ihren verschiedenen Gesprächspartnern interaktionale Strategien, um mit diesen komplexen interaktionalen Anforderungen umzugehen. Die Ergebnisse des Projekts lassen sich unmittelbar in die Arbeit mit unterstützt Kommunizierenden und in die Entwicklung angemessener elektronischer Kommunikationshilfen umsetzen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2011): Konversationsanalyse (conversation analysis) und ihre Instrumente. Potential und Grenzen für die Unterstützte Kommunikation. Karlsruhe : von Loeper. In: Bollmeyer, Henrike; Engel, Kathrin; Hallbauer, Angela; Hüning-Meier, Monika (Hrsg): UK inklusive. Teilhabe durch Unterstützte Kommunikation. Tagungsband der 11. Fachtagung Unterstützte Kommunikation. S. 395-405
    Renner, Gregor
  • (2012): The importance of gaze in the constitution of units in augmentative and alternative communication (AAC). In: Pia Bergmann; Jana Brenning; Martin Pfeiffer; Elisabeth Reber (Hrsg.): Prosody and Embodiment in Interactional Grammar, Berlin: de Gruyter, 237-264
    Hörmeyer, Ina
  • (2013): Confirming and denying in co-construction processes: A case study of an adult with cerebral palsy and two familiar partners. In: Augmentative and Alternative Communication 29, 259-271
    Hörmeyer, Ina; Renner, Gregor
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3109/07434618.2013.813968)
  • (2015): Der Einsatz von Körper und Maschine in der Unterstützten Kommunikation. Eine konversationsanalytische Untersuchung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung (= Empirische Kommunikationsforschung im Gesundheitswesen (EKiG) Band 4)
    Hörmeyer, Ina
  • Achieving Intersubjectivity in augmentative and alternative communication (ACC): Intercorporal, embodied and disembodied practives. Erscheint in: Christian Meyer, Jürgen Streeck & J. Scott Jordan, Hrsg., Intercorporeality: Emerging Socialities in Interaction. Oxford University Press, 2017. S. 323-360
    Auer, Peter; Hörmeyer, Ina
 
 

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