Detailseite
Projekt Druckansicht

Spätbabylonische mathematische Astronomie

Fachliche Zuordnung Ägyptische und Vorderasiatische Altertumswissenschaften
Förderung Förderung von 2005 bis 2009
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 20967937
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Aus Babylon und Uruk, den zwei wichtigsten mesopotamischen Zentren wissenschaftlicher Aktivität in der spätbabylonischen Zeit (500 vC - 100 AD), sind etwa 130 Prozedurtexte der mathematischen Astronomie bekannt. Diese in babylonischer Keilschrift verfassten Tontafeln entstammen der letzten und wohl bemerkenswertesten Phase einer intensiven und vielfältigen Beschäftigung der Mesopotamier mit Himmelserscheinungen. Sie enthalten Rechenregeln (Algorithmen) für die Anfertigung astronomischer Tabellen für den Mond und die Planeten. Ziel des Projektes war, alle Prozedurtexte zu übersetzen, kritisch zu edieren und sie aus philologischen, mathematischen, astronomischen und wissenschaftshistorischen Blickwinkeln mit modernen Analysemethoden zu untersuchen. Beim Übersetzen wurden neue methodische Ansätze verfolgt, die die Differenzierungen der babylonischen Terminologie besser Rechnung tragen. Auf diese Weise konnten erhebliche Anachronismen in den bisherigen Übersetzungen beseitigt werden. Es wurde zum ersten Mal eine umfassende Typologie der Prozeduren erarbeitet. Diese führte zur Entdeckung, daß viele Prozeduren spezifische Implementierungen von nur wenigen Musterprozeduren sind, wobei die Implementierungen einer einzelnen Musterprozedur sich nur unterscheiden durch den numerischen Wert der involvierten Parameter. Eine detaillierte Untersuchung der Sprache der Prozedurtexte ergab, daß die Terminologie für die Rechenoperationen sich erheblich unterscheidet von derjenigen in den altbabylonischen mathematischen Tafeln. Zweitens wurde die Entdeckung gemacht, daß wesentliche Schritte zu einer größeren mathematischen Abstraktion erstmals in den astronomischen Prozedurtexten belegt sind. Dies betrifft z.B. die Darstellung von und dem Umgang mit additiven und subtraktiven Zahlen, die erstmals in den Prozedurtexten als benannte Variablen ohne festgelegten numerischen Wert in Erscheinimg treten. Drittens wurde entdeckt, daß der Wandel von einer Formulierung durch numerische Beispiele hin zu einer 'allgemeinen' Formulierung basierend auf benannten Variablen unbestimmter Größe sich erstmals in den astronomischen Prozedurtexten vollzogen hat und in den mathematischen Texten nicht erkennbar ist. Weiterhin wurde der soziale und institutionelle Kontext der babylonischen mathematischen Astronomie untersucht. Dabei wurde entdeckt, daß die astronomischen Texte aus Uruk, die fast immer die Namen von zwei Gelehrten nennen, eine strenge Systematik aufweisen. Schreiber und 'Besitzer' der Tafel entsprechen in Uruk zwei nicht-überlappenden Karrierestufen eines jeden Gelehrten. Von einigen Astronomen konnte erstmals eine detaillierte Biografie skizziert werden. Für die praktische Anwendung der mathematischen Astronomie wurde eine neue Hypothese aufgestellt, nach der diese u.a. zur Vorhersage irdischer Phänomene, wie z.B. des Wetters und des Getreidepreises, diente. Die Texteditionen und die Ergebnisse der Analysen wurden in der Monographie 'Babylonian Mathematical Astronomy. Procedure Texts' zugänglich gemacht. In Hinblick auf eine didaktisch motivierte Darstellung der Ergebnisse wurde eine Struktur entwickelt, wonach die Konzepte und Algorithmen der babylonischen mathematischen Astronomie in direi Ebenen eingeteilt werden, die sich von der elementaren Ebene (Zahlen und Rechenoperationen) über eine algorithmische Ebene (Funktionen und Algorithmen), bis zur systemischen Ebene (Rechensysteme) zu immer komplexeren Strukturen zusammentun. Durch diese Struktur treten erstmals die engen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Konzepten und Algorithmen deutlich hervor.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2007. 'Mathematische Astronomie in Babylonie'. Phoenix 53,84-99
    Ossendrijver M.
  • 2008. 'Astronomie und Astrologie in Babylonien'. In: J. Marzahn (Hrsg.), 'Babylon. Wahrheit', Katalog zur Ausstellung 'Babylon. Mythos und Wahrheit' im Pergamon Museum, Berlin, 373-386
    Ossendrijver M.
  • 2008. 'Was die Sterne den Babyloniern verrieten. Astronomie und Astrologie im Zweistromland'. Antike Welt, 4/2008,30-31
    Ossendrijver M.
  • 2009. 'Die Sonne im Alten Orient - Konzeptionen zwischen Mythos und Wissenschaft'. In: A. Bärnreuthner (Hrsg.), 'Die Sonne. Brennpunkt der Kulturen der Welt' (Staatliche Museen Berlin, Deutsche Bank Stiftung und Edition Minerva), 54-65
    Ossendrijver M.
  • 2010. 'Evidence for an Instrumental Meaning of ina libbi'. NABU nr. 44, p. 51
    Ossendrijver M.
  • 2011. 'Exzellente Netzwerke: die Astronomen von Uruk'. In: G.J. Selz, K. Wagensonner (Hrsg.), 'The Empirical Dimension of Ancient Near Eastern Studies', Wiener Offene Orientalistik Band 8, (LIT-Verlag: Wien), 631-644
    Ossendrijver M.
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung