Zwischen Exemplum und Krankheitsbild: Medizinische Fallgeschichten in niederländischen Texten der Frühen Neuzeit
Frühneuzeitliche Geschichte
Wissenschaftsgeschichte
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt arbeitete erstmals das Genre der medizinischen Fallgeschichten in der frühneuzeitlichen niederländischsprachigen Literatur in seiner Bedeutung für den Zusammenhang zwischen Literatur und Wissen auf. Dabei ergaben sich vier inhaltliche Schwerpunkte: 1. Zunächst wurde die traditionelle, auf dem Muster der Exempelerzählung und medizinischer erzählender Genres, wie den Observationes Medicae, basierende Fallgeschichte betrachtet. Paradigmatische Bedeutung kam hierbei dem Werk Johan van Beverwijcks zu. Besonderes Interesse fand hier die Verknüpfung verschiedener medizinischer, historischer, politischer, theologischer und philosophischer Diskurse, die zur Identitätsbildung der niederländischen Republik im 17. Jahrhundert beitrugen. 2. Die Fallgeschichten der cartesianischen Medizin, insbesondere Steven Blankaarts und Cornelis Bontekoes, bildeten dann einen zweiten Schwerpunkt des Interesses. Hier ergaben sich als herausragende Merkmale die Verwissenschaftlichung medizinischer Beobachtungen, aber auch die Konsequenzen der Anwendung cartesianischer Lehren für die Sicht auf den menschlichen Körper und die Wahrnehmung von Krankheit im Allgemeinen. Ergebnis des Projektes war es, dass die niederländischen Cartesianer sich nahezu unversöhnlich mit der hergebrachten medizinischen Lehre auseinandersetzen und diese Kritik auch in den deutschen Sprachraum übertragen. 3. Um die Ausstrahlung dieser Debatten im transnationalen Rahmen zu verdeutlichen, wurde zudem der Transfer des „niederländischen Modells medizinischer Schreibweisen“ in den deutschen Sprachraum behandelt. Dabei zeigte es sich, dass z.B. bei Friedrich Hoffmann eine kritische Auseinandersetzung mit den Werken insbesondere der niederländischen Cartesianer stattfand, die zu einer größeren Individualisierung der Fallgeschichte in der Frühaufklärung führte. Insbesondere hinsichtlich der Teilchentheorie als auch der Lehre von den sauren und alkalischen Kräften ist Hoffmann deutlich von der niederländischen medizinischen Literatur beeinflusst. 4. Schließlich wurde die Relevanz der Untersuchungen zur medizinischen Fallgeschichte für den Zusammenhang von Literatur und Wissen in der niederländischsprachigen Literatur der Frühen Neuzeit untersucht. Anhand der Dramen Vondels, aber auch theologischer Autoren wie Franciscus Ridderus, wurden die vielschichtigen Verbindungen ästhetischer, ethischer und naturwissenschaftlicher Diskurse in der niederländischen Literatur des siebzehnten und beginnenden achtzehnten Jahrhunderts und deren gesellschaftliche Relevanz gezeigt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Foreign wisdom. Ethnological knowledge in the work of Franciscus Ridderus”, in: Journal of Dutch Literature 3 (2012), 47-64
B. Noak
- „Kennistransfer en culturele differentie. Abraham Rogerius en zijn Open deure tot het verborgen heydendom (1651)”, in: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 128 (2012), 350-364
B. Noak
- „Steven Blankaart (1650–1702) als Vermittler der cartesianischen Medizin in Deutschland“, in: E. Jost/ H. Zaunstöck (Hrsg.), Goldenes Zeitalter und Jahrhundert der Aufklärung ... Halle: Mitteldeutscher Verlag 2012, 46–61
B. Noak
- „Samen und Worte – sprachliche und natürliche Zeugung bei Johan van Beverwijck und Jacob Cats“, in: Lydia Bauer/Antje Wittstock (Hrsg.), Text-Körper. Anfänge - Spuren - Überschreitungen. Berlin: Frank & Timme 2014, 35-57
B. Noak
- „Concepts of illness and health in the Zedekunstdat dat is Wellevenskunste (Ethics, or the Art of Living Well, 1586) by Dirck Volckertszoon Coornhert (1522-1590)”, in: Anne Eusterschulte / Hannah Wälzholz (eds.), Anthropological Reformations – Anthropology in the Era of Reformation. Göttingen 2015, 295-303
B. Noak
- „Der Kampf mit den Autoritäten - Cornelis Bontekoe und Steven Blankaart als Gegner der etablierten Medizin“, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 13 (2015), 15-33
B. Noak
- „Under the Spell of Curiositas: Wouter Schouten (1638-1704) as Ethnologist and Natural Scientist“, in: S. Friedrich/ A. Brendecke / St. Ehrenpreis/ (eds.), Transformations of Knowledge in Dutch Expansion. Berlin/ New York: De Gruyter 2015, 209-229. (= Pluralisierung und Autorität, 44)
B. Noak
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783110366174-009) - Illness and Literature in the Low Countries. From the Middle Ages until the 21th Century. Göttingen: V & R Unipress 2016. ISBN 978-3-8471-0520-6
J. Grave/ R. Honings/ B. Noak (eds.)
- „Emotions, Imagination and Surgery: Wounded Warriors in the Work of Ambroise Paré and Johan van Beverwijck”, in: / C. van der Haven / E. Kuijpers (eds.), Battlefield Emotions 1500-1800: Practices, Experience, Imagination. London: Palgrave Macmillan, 2016 (= Palgrave Studies in the History of Emotions), 71-91
B. Noak
(Siehe online unter https://doi.org/10.1057/978-1-137-56490-0_4) - „Pictures of Melancholia in Four Tragedies by Joost van den Vondel”, in: J. Grave/ R. Honings/ B. Noak (eds.), Illness and Literature in the Low Countries. From the Middle Ages until the 21th Century. Göttingen 2016, 61-80
B. Noak