Zur Validität sensorischer Vorbereitungsprozesse: Prüfung eines auditiven Vorhersagemechanismus
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das menschliche Hörsystem ist mit einer Vielzahl einströmender Reize konfrontiert, die sofort verarbeitet werden müssen, ehe sie wieder verklingen. Eine derartig schnelle Analyse ist nur dadurch möglich, dass bestimmte Reiz-Anteile schon vorverarbeitet werden. Daher sind Vorhersagemechanismen im Hörsystem von essenzieller Bedeutung. Das hier durchgeführte Forschungsprojekt beschäftigte sich mit einem auditiven Vorhersagemechanismus, der zuvor unter unrealistisch vereinfachten Bedingungen untersucht worden war: in vorherigen Studien wurden Situationen konstruiert, in denen entweder komplett vorhersagbare oder komplett unvorhersagbare Töne präsentiert wurden. Alltagsgeräusche fallen meist zwischen diese Extrembedingungen: sie sind nicht restlos, aber doch ungefähr vorhersagbar. Im Rahmen des Projekts wurde daher die Vorhersagbarkeit von Tönen zwischen den beiden Extremstufen graduell variiert – zum einen hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit, zum anderen hinsichtlich ihrer Genauigkeit. Für die Variation der Zuverlässigkeit konnte gezeigt werden, dass ein elektroenzephalographie(EEG-)basierter Indikator auditiver Vorhersageaktivität in seinem Ausprägungsgrad mit der graduellen Abstufung mitgeht. Sowohl für die Variation der Zuverlässigkeit als auch der Genauigkeit fanden sich erste Hinweise auf einen bislang nicht beschriebenen zusätzlichen Indikator auditiver Vorhersageaktivität, dessen Robustheit jedoch in Nachfolgestudien noch kritisch geprüft werden muss. Die graduelle Variation der Vorhersagbarkeit bringt neben der Erhöhung der Realitätsnähe eine wichtige methodische Neuerung mit sich: durch die mehrstufige Bedingungsvariation reduziert sich (gegenüber dem Extremvergleich vorhersagbar – unvorhersagbar) die Wahrscheinlichkeit von Zufallsbefunden, die fälschlich als Korrelat auditiver Vorhersageaktivität interpretiert werden könnten. In weiteren EEG-Experimenten des Projektes konnte mit verwandten Ansätzen gezeigt werden, dass das auditive System zwar erwartbare Töne „vorhersagt“, dass dies jedoch nicht als Imitation der (Hirn)Prozesse verstanden werden darf, die während der Präsentation eines tatsächlichen Tones ablaufen: Die mittels EEG gemessenen Hirnreaktionen auf einen tatsächlich präsentierten und auf einen stark vorhersagbaren, schließlich jedoch nicht präsentierten Ton ähneln sich zwar, aber sie unterscheiden sich auch in wichtigen Details. Zudem wurden methodische Herausforderungen aufgedeckt, die es in zukünftigen Studien zu auditiver Vorhersageaktivität zu beachten gilt, etwa die saubere Trennung von Vorhersage- und Gruppierungsphänomenen. In einem letzten Experimentalstrang konnte überraschenderweise eine Vorannahme des Projektes (der Vorhersagemechanismus sei auf kurze Zeitabstände zwischen vorhersagendem und vorhergesagtem Ereignis beschränkt) nicht bestätigt werden. Aus dem Projekt ergibt sich die Notwendigkeit verschiedener Nachfolgestudien auf dem Forschungsfeld der auditiven Vorhersageaktivität, deren Erkenntnisse zu einem besseren theoretischen Verständnis von Vorhersagemechanismen im Hörsystem führen können.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2013). Effects of conditional probability on ERP indicators of auditory stimulus predictions. 3. IMPRS NeuroCom Summer School; Leipzig, Deutschland, 10.-12. Juli 2013 [prämiert mit dem Posterpreis]
Reiche, M., Widmann, A., & Bendixen, A.
- (2015). Noise occlusion in discrete tone sequences as a tool towards auditory predictive processing? Brain Research, 1626, 97- 107
Bendixen, A., Duwe, S., & Reiche, M.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.brainres.2015.06.045) - (2015). Spatial auditory regularity encoding and prediction: human middle-latency and long- latency auditory evoked potentials. Brain Research, 1626, 21-30
Cornella, M., Bendixen, A., Grimm, S., Leung, S., Schröger, E., & Escera, C.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.brainres.2015.04.018)