Innerparteilicher Wettbewerb: Nominierung der Direktkandidaten für die Bundestagswahl 2009
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit dem politischen Wettbewerb in der repräsentativen Demokratie, genauer mit dem innerparteilichen Wettbewerb in Deutschland. Typischerweise wird politischer Wettbewerb in der repräsentativen Demokratie mit dem Wettbewerb zwischen den Parteien und somit mit der Wahl identifiziert. In Deutschland wie in anderen Demokratien finden jedoch entscheidende Teile dieses Wettbewerbs innerhalb der Parteien selbst statt. So ist der innerparteiliche Nominierungsprozess für die personelle Zusammensetzung des Bundestags nach wie vor sehr wichtig, da für die Mehrheit der Kandidaten bereits bei ihrer Nominierung feststeht, ob sie Abgeordnete werden oder nicht. Über das Ausmaß und die Mechanismen dieses Konkurrenzkampfes innerhalb der Parteien in Deutschland gibt es jedoch trotz dieser großen Relevanz kaum empirische Erkenntnisse. Ziel ist daher eine Analyse der innerparteilichen Kandidatenselektion in Deutschland im Kontext der international vergleichenden Diskussion. Die zentrale Frage des Projektes lautet: Welche Faktoren und Mechanismen strukturieren den innerparteilichen Wettbewerb und seine Ergebnisse in Deutschland? Damit fokussiert die Studie auf Grad und Formen des Wettbewerbs, die Organisation sowie auf die zentralen Selektionskriterien. Dies wird empirisch anhand der Selektionsprozesse in den Wahlkreisen bei der Aufstellung der Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2009 untersucht. Empirisch basiert die Studie auf einer Analyse der Nominierungsprozesse in allen 299 Wahlkreisen von SPD, CDU, CSU sowie der Linken in den ostdeutschen und Berliner Wahlkreisen (N=661), der teilnehmenden Beobachtung von zehn Nominierungskonferenzen sowie der Rekonstruktion von 32 Nominierungsprozessen auf Basis von 159 Leitfadeninterviews mit den relevanten Akteuren und Journalisten. Hinsichtlich des Ausmaßes des Wettbewerbs zeigt die Analyse, dass bei der Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2009 in 28% der untersuchten Nominierungen Wettbewerb zwischen zwei und 13 Bewerbern stattfand. Dabei gibt es erwartungsgemäß große Unterschiede zwischen Nominierungen, in denen der Amtsinhaber wieder antritt (15%), und solchen, die vakant sind (52%). Zentrale Einflussfaktoren auf das Ausmaß des Wettbewerbs in vakanten Wahlkreisen sind die Chancen auf den Mandatsgewinn sowie die Größe und Inklusivität des Selektorats. Zudem zeigen sich systematische Parteiunterschiede, wobei der Wettbewerbsgrad bei der CSU am höchsten und bei der Linken am niedrigsten ist. Um den innerparteilichen Wettbewerb nicht systematisch zu unterschätzen, ist es entscheidend, nicht nur die formalen Nominierungskonferenzen zu untersuchen. So zeigt die Studie, dass im Vorfeld der Nominierungskonferenz ein zumeist langer parteiinterner Willensbildungs- und Selektionsprozess in mehreren Wettbewerbsstufen stattfindet und die Nominierungskonferenz somit nur die letzte Stufe dieses Prozesses darstellt. Zentrale Entscheidungen des innerparteilichen Wettbewerbs fallen u.a. bereits im Rahmen von sogenannten ,Tingeltouren' durch die Wahlkreise, bei denen teilweise bereits für die Bewerber votiert wird. Der innerparteiliche Wettbewerb wird dabei in allen Parteien durch informelle Wettbewerbsregeln - v.a. Loyalitäts- und Fairnessregeln - strukturiert und beschränkt. Die Selektionskriterien, die das Selektorat bei der Kandidatenauswahl in den Wahlkreisen anwendet, hängen entscheidend von den Chancen auf einen Mandatsgewinn im Wahlkreis bzw. auf der Liste ab. Grundsätzlich beurteilt das Selektorat bevorzugt aus einer rein innerparteilichen Perspektive, so dass Lokal- und Regionalproporz, parteipolitisches und kommunalpolitisches Engagement sowie die Verankerung in der Partei wichtige Kriterien sind. Sofern ein Wahlkreis nicht direkt gewonnen werden kann, passt das Selektorat die Selektionskriterien jedoch strategisch an die Kriterien der Wähler im Wahlkreis oder der Landespartei (Quoten wie Geschlecht, innerparteiliche Gruppierung etc.) an.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2010): Friends as Foes: The Two-Level Game of Intra-Party Competition in Germany. American Political Science Association (APSA), 1.-5. September, Washington, D.C.
Borchert, Jens/Reiser, Marion
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(2011): "Wer entscheidet unter welchen Bedingungen über die Nominierung von Kandidaten?" Die innerparteilichen Selektionsprozesse zur Aufstellung in den Wahlkreisen. In: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2009. Wiesbaden, 237-259
Reiser, Marion
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(2012): Repräsentation und innerparteiliche Kandidatenaufstellung. Repräsentationsvorstellungen und Selektionskriterien bei der Aufstellung der Direktkandidaten. DVPW Kongress, 24.-28.9.2012, Tübingen
Reiser, Marion