Detailseite
Projekt Druckansicht

Nach dem Krankenmord. Struktur und Alltagsleben ehemaliger Tötungsanstalten in den vier Besatzungszonen 1945-1955

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2012 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 214523423
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

1. Die Hypothese, dass der „Normalisierungs“-Prozess unterschiedlich lange dauerte, lässt sich für die vier Anstalten bestätigen. Dies zeigt sich nicht nur an einem unterschiedlich schnellen Rückgang der Sterblichkeit (für die auch nach dem Krieg hohen Sterbezahlen waren vor allem die Kontinuitäten in deutschen Behörden verantwortlich), sondern auch an einer unterschiedlich schnellen Konsolidierung der Gebäudesituation und der therapeutischen Routine. Für die ersten Nachkriegsjahre lässt sich das Streben nach Stabilisierung der Verhältnisse, vor allem der Belegung, der (Rückgewinnung der) Gebäude und der Nahrungsmittelversorgung, als ein zunächst erfolgreicher Versuch der „Selbstrettung“ des Anstaltswesens beschreiben. 2. In den vier Anstalten stellte sich letztlich aber nicht die Vorkriegsroutine wieder her. Die Patient*innenschaft änderte sich nach Kriegsende. Dies lag auf der einen Seite daran, dass die Langzeitpatienten, die bis dahin das Bild der Heil- und Pflegeanstalten bestimmt hatten, zu einem großen Teil ermordet worden waren. Auf der anderen Seite überwogen bei den Neuzugängen zunehmend Kurzzeitpatienten. Auch die Zusammensetzung der Diagnosen änderte sich. Auffallend ist in Großschweidnitz, Hadamar und Klingenmünster die große Gruppe der Patienten mit psychiatrischen Alterserkrankungen. Infolge der veränderten Patientenschaft setzte allmählich auch eine Spezialisierung ein, z. B. auf Kinder wie in Klingenmünster oder auf Alkoholiker und Suchtkranke wie in Hadamar. Therapeutische Maßnahmen mussten nach Kriegsende erst wieder in den Alltag der vier ehemaligen Tötungsanstalten eingeführt werden. Vor allem in Hadamar und Klingenmünster waren sie einem erkennbaren Wandel unterworfen: Anfangs wurden noch geläufige Behandlungsverfahren angewandt, z. B. Arbeitstherapie und Familienpflege. In allen vier Anstalten war die Elektroschocktherapie besonders beliebt. Doch bald begann man neue Konzepte einzuführen, setzte die gerade auf den Markt gekommenen Psychopharmaka ein oder tastete sich an die Psychotherapie heran. Für Großschweidnitz in der Sowjetzone fehlen solche Nachrichten. 3. Für zwei der Anstalten (Hadamar und Klingenmünster) ist für die frühen 1950er Jahre eine „Klinifizierung“ zu beschreiben, was das gängige narrativ vom Stillstand im Anstaltswesen bis mindestens zur „Reform vor der Reform“ modifiziert. Veränderte Patient*innenschaft, Einsatz spezifischer Medikamente, Einrichtung von Laboratorien und Aufstellung von Röntgengeräten, wie sie bereits in den frühen 1950er Jahren in Hadamar erfolgten, oder die Spezialisierung auf bestimmte Patientengruppen sind Schritte auf der Wandlung von der Heil- und Pflegeanstalt zur psychiatrischen Klinik. Zwei der früheren Heil- und Pflegeanstalten, die während des Krieges zu Tötungsanstalten mutiert waren, versuchten spätestens ab den frühen 1950er Jahren, sich ein neues, „klinisches“ Gesicht zu geben.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung